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02.10.2023 - 31. Tag - erster Teil -

Las Herrerias - nicht ganz bis Fronfria

Der Tag ging früh los. Na ja früh ist auf dem Camino verdammt relativ, wie wir an diesem Tag deutlich erfahren durften. Aber erstmal der Reihe nach, zur Einordnung ist es notwendig, etwas zum Vortag auszuführen. Melli hatte die Nacht kaum bis nicht geschlafen wogegen Chri durchaus eine normal bis entspannende Nacht (das Schlafniveau auf dem Camino ist halt insgesamt nicht so gut) hinter sich hatte. So kam es, dass Chri schon vor Melli auf den Beinen war und schlussendlich vor dem Zimmer wartete, bis auch Melli aufstand. Eigentlich war bei uns beiden der Akku ziemlich runter, die langen Tage des noch längeren Wanderns und die doch etwas eintönige Beschäftigung jeden Tag, die zudem noch als mäßig bis stark einzuschätzende körperliche Herausforderungen mit sich brachten, verändern das Allgemeinbefinden nach einem Monat durchaus. Ja gestern Abend hatten wir den Monat voll gemacht. Genau morgen vor einem Monat waren wir in Saint-Jean-Pied-de-Port gestartet und hatten um die 610 km auf der Uhr. No big deal aber schon irgendwie auch ... ermüdend, von fraglichem Sinn?, wo bleibt da die Erholung, so langsam könnte es mal zu Ende gehen, zu Hause ist auch ganz schön, Mist Du warst erkältet und bist danach einen Marathon gewandert ... egal zu diesem Zeitpunkt waren wir beide einfach platt. So beschlossen wir uns unseren Impulsen zu folgen, Melli wollte zeitig ins Bett, Chri sich noch ein paar Bier hineinzimmern und dann noch etwas am Blog schreiben. Gesagt getan, nachdem wir noch eine sehr schöne Begegnung mit Charlie, einem 76jährigen US-Amerikaner, der Melli an der Gitarre eine kurze Übungsstunde gab. Wie sich später herausstellte, war Charlie mit Chuck unterwegs. Beide sind alte Komolitonen aus der selben Uni und laufen als rüstige Rentner mit einem Hang zu schwarzem Humor, Wein und tiefgründigen Gesprächen den Jakobsweg.

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Zunächst erschließt sich darauf noch nicht, warum Melli früh müde und Chri früh einigermaßen ausgeschlafen war. Eine Korrelation zwischen früh ins Bett gehen und müde sein und noch mehr Bier und hellwach besteht bekannterweise nicht. Der Versuch einer Erklärung:

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Melli lag also bereits um 21:00 Uhr im Bett, um 22 Uhr war erst Nachruhe, sodass im Schlafraum, der um die 12 Pilger fasste und mit Doppelstockbetten ausgestattet war, noch rege Betriebsamkeit herrschte. Das Licht war an und ein gewisses Grundgeschnatter füllte den Raum. Es wurde geraschelt, nach irgendetwas gekramt und sich für die kommende Bergetappe fertig gemacht. Ein bisschen wie auf der Berghütte vor einem Aufstieg auf einen beliebigen Viertausender. Gespannte Betriebsamkeit hier oben, Chri hätte zum gleichen Zeitpunkt von einer Kneipe berichten können, die sich wie eine beliebige Eckkneipe in einer deutschen Kleinstadt um 22:30 Uhr anfühlt. So langsam sind alle weg und wenn keine Jugendlichen ihr Unwesen treiben, sitzen vielleicht noch ein oder zwei Stammgäste in den Ecken und trinken ihr Bier. Melli hatte sich hingelegt und ihre Ohrstöpsel eingestöpselt, als einer der Touripilger hier auf die glorreiche Idee kam, gegen die Geruchsbelästigung die von genutzten Füßen und benutzten Schuhen herrührt, Weapons of Mass Destruction anzuwenden. Pffffff Pfffff Pfffffffffff PPPPPPPFFFFFFffffff. WTF? Mentol! Viel Mentol, überall Mentol, so muss sich ein einzelnes Zuckermolekül fühlen, wenn es in einem Eukalyptusbonbon gefangen ist fühlen. Die Dosis macht das Gift, das was hier ausgesprüht wurde, hätte für eine Wagenladung von Hygieneverweigerern ausgereicht, hier aber führte es zu einer olfaktorischen Überforderung. Auch Christian der um 22 Uhr die Bettruhe Anweisung befolgte konnte den Mentolwahnsinn olfaktorisch nicht ausblenden. Zum Glück schlief Christian genau über dem einzigen Fenster im gesamtem Raum, einem kleinen Dachfenster. Da man ohne Leiter oder ohne Christians Bett zu besteigen das Fenster nicht schließen konnte blieb es die ganze Nacht offenieLeider zum nachteil von Melli, die die ganze Nacht von Monstermücken attakiert wurde und am nächste morgen dementsprechend aussah. Fette, dicke Mückenstiche an den Armen und sogar im Gesicht. Super geil!

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Für Chri war es nicht einfacher. Man er hatte ja schon fast ein schlechtes Gewissen. Um 21:30 Uhr war er immer noch in der Kneipe, drei Amerikaner offensichlich gesitterten Einkommens unterhielten sich über ihr Buissiness zu Hause, allways Bussyness, Christian lachte in sich hinein, na so langsam, nach deutlich mehr Kilometern beim ersten Jakobsweg in 2016 (perfektes Backoffice in der Kanzlei, perfekte Unterstützung durch die Kollegen) könnte man wieder Bock auf seinen Job als Transformationsmanager haben. Aber noch sind es um die 2 Wochen und so langsam musste die "Landung" in Santiago und danach der entscheidende Teil des Weges von Santiago nach Finisterre geplant sein. Würden wir es überhaupt schaffen? Wie viele Tage würden wir noch haben, bevor der Alltag so richtig wieder losgeht, die Tretmühle, diese unglaublich abwechslungsreiche und erfüllende Arbeit? Egal, gegen 21:45 Uhr entsprach es dem Anstand (ja, Assies sind nie alleine aber wir sind ordentliche Assies) so langsam Richtung Bett zu schreiten. Melli hatte ihre Pläne schon in die Tat umgesetzt und mit entschiedenem Ton das Licht löschen lassen. Der sanftmütig angehauchte Pilger Chri, der selbstverständlich um 21:45 Uhr nicht das Licht angeschaltet hatte, tastete sich also durch diese dunkle Schlafhöhle touristischen Anstrichs (ein Haufen Leute mit Weiterschickrucksäcken oder sogar fetten Koffern) völlig blind. Nur der Schein eines einsamen Smartphonebildschirms, der den liegenden Pilger vom Aufmerksamkeitslevel in eine Art Zwischenspäre gebeamt zu haben schien, ermöglichten die Orientierung. Klamotten aus, bettfertig machen, MIST! Melli hatte eine Nachricht geschickt nach einer Flasche Wasser, die sich im Rucksack befand aber nach oben befördert werden sollte. Und das ausgerechnet durch mich. Na klar, ein anderer war ja auch nicht da. Also nochmal runter vom Bett und Flasche holen, spätestens jetzt hatte auch Chri mitbekommen, dass man hier nicht so pingelig mit der Störungsintensität war. Chri schlief im Übrigen, weil das kleine Dachenster über ihm auf und die Mückenlandestation im Bett nebenan war, ganz gut.

Am nächsten Tag ging es dann also relativ frühzeitg los aber nicht ohne ein ausgiebiges Frühstück, schließlich geht es heute in die Berge. Aber bevor es zum Frühstück ging half Chri einer Dame ihre Hartschalenkoffer, die bestimmt 20 Kg gewogen haben, nach draußen zu befördern, damit der Jacko-Trans (ein Unternehmen, welches sich auf die Beförderung von Pilgergepäck spezialisiert hat) die Koffer auch sicher in die nächste Herberge bringen kann. Jetzt aber Vamos adelante, ab in die Berge, O Cebreiro wartet. Oben in O Cebreiro tat sich eine wunderschöne Berglandschaft auf. Übrigens ab hier sind wir dann in Galizien. Bei einem kleinen Mittagessen stärkten wir uns, sahen uns die Kirche an (die wirklich wunderschön ist) und wir trafen Pietro und Sebastian wieder und freuten uns über dieses Wiedersehen, weil die Gespräche mit Pietro und Sebastian immer bereichernd waren. Weiter gehts wir wollten noch ein paar Meter machen. Der Weg war weiterhin malerisch und das lenkte uns ein wenig von unseren müden Knochen ab.

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01.10.2023 - 30. Tag

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Pieros - Las Herrerias

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Wir wollten an diesem Morgen gar nicht aus diesen wunderbar bequemen Betten raus und so liesen wir uns mit dem Wachwerden etwas Zeit. Na ja, es war eigentlich gerade mal sieben Uhr. Melli checkte schon mal den Donativo Kaffee und stellte fest, dass schon eine Menge Pilger vor uns los gelaufen sind. Zum einen sollte es wieder ein sehr heißer Tag werden, zum anderen haben diese Pilger mit Pietro in einem Raum geschlafen. Pietro ist ein sehr intensiver Schnarcher, dessen Bekanntschaft wir gestern Abend machen durften und der alle Anwesenden schon mal von seinen Schlafgewohnheiten erzählte, um sie emotional auf die Nacht einzustimmen. Pietro hat eine Schlafapnoe, sprich sein Atmen setzt für bis zu einer Minute aus, nur um danach mit einem lauten Schnachen wieder einzusetzen. Er selbst bekommt das gar nicht mit, aber wohl alle um ihn herum. Wenn man im gleichen Zimmer mit ihm schläft sollte man das wissen, damit man nicht drauf und dran ist, den Krankenwagen zu rufen oder Reanimationsmaßnahmen an einen schlafenden Pilger durchzuführen. Da wo er schläft, flüchten die Pilger früh aus den Schlafsälen. Gott sei Dank gab es zwei Zimmer, Pietro schlief nicht bei uns.

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So jetzt gehen wir erstmal essen. Gleich geht es weiter.

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An dieser Stelle ist zurückblickend eine Entschuldigung fällig. Es ging nicht gleich weiter. Der Camino bescherte uns gerade auf den letzten Metern derart viele Erfahrungen, dass wir das kontinuierliche Schreiben des Blogs erst einmal hinten anstellten, um die ganzen Erfahrungen, Menschen, Begegnungen und die kleinen und großen Emotionen wie ein Schwamm aufsaugen zu können. Es waren so viele, dass wir den Blog gerade aus Fisterra (abschließend sogar noch weiter weg) weiterschreiben. Ja richtig gehört, Fisterra, sprich irgendwie sind wir durchgekommen. Fragt nicht wie. *AffeHältSichDieAugenZuSmiley*. Zurück in die Zeitlinie unserer Wanderung.

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Am 01.10.2023 ... verdammt wir sind morgen schon einen ganzen Monat unterwegs. Fast angsteinflößend, werden wir je wieder normal werden? Irgendwie ist das Pilgern im Kopf, im Körper und selbstverständlich auch in den Knochen so langsam angekommen. So kann man zum Beispiel mittlerweile beobachten, dass wir Schwierigkeiten haben, den korrekten Wochentag aus dem Kopf zu nennen. Das sind beim Pilgern einfach Kathegorien, die völlig uninteressant geworden sind. Der Tag ist eh vor allem "Walk, Eat, Sleep, Repeat".

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So auch heute. Die Landschaft verändert sich spätenstens vor Villafranca de Birzo nochmals, lag doch ab Molinaseca eine eher flache Strecke hinter uns. Diese hatten wir aber auch bitter nötig gehabt, nach dem Gekraxel über den Pass beim Cruz de Ferro. Eigentlich hatten wir uns auf entspannte Bergetappen gefreut, endlich mal wieder etwas wellig laufen, hoch und runter, schöne Landschaften und hoffentlich aufgrund der Bergumgebung etwas schattigere Wege. Pustekuchen. Es ging zunächst bis Villafranca noch über schöne Hinterlandwege und kleine Sträßchen vorwärts nur um dann den ganzen Tag an einer vielbefahrenen Autobahn entlangzugehen. Einigermaßen parralel zum Jakobsweg verläuft nämlich eine Autobahn, die auf Roadtrips zwar richtig praktisch ist, wenn man per pedes unterwegs ist, jedoch das Vergnügen etwas schmälert. Auf der heutigen Etappe war das besonders zu spüren, weil der Weg über die Berge auch für die Autobahn durch das gleiche Tag führte, wie der Camino.

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Aber auch in dieser Umgebung gab es immer wieder kleine Plätze zum Verweilen, die wirklich schön waren. Einfach ein paar Meter die eingelaufenen Pilgerpfade verlassen und in die Natur hereinspüren. Nur 30 Meter reichen manchmal aus, um die Perspektive völlig zu verändern. Uns verschlug es an einen wirklich schönen Gebirgsfluss, der leise murmelnd über große Steine dahinplätscherte und auch die Autobahn war mal etwas weiter entfernt. Hier hatten sich die spanischen Ingenieur wirklich Mühe gegeben, die Autobahn war über viele Kilometer so hoch im Tal verlegt worden, dass die Beeinträchtigungen für den Weg manchmal nicht zu spüren waren. Ein wirklich schönes Fleckchen Erde und für uns die Möglichkeit für eine ausgedehnte Pause. Melli hatte sogar so viel Spass am Fluß, dass sie ihr Handy fast hineinfallen lassen hat. Ein einsamer Stein vor Beginn der kalten Flut verhinderte den ungewollten Digital-Detox. Weiter auf dem Weg, ohne Schatten (Pustekuchen, wir erinnern uns) den Berg langsam hoch. Zwischendurch noch die zweite richtig gute Pizza (Rock´n Roll Pizza) auf dem Weg genossen und Meter machen.

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Wir liefen lange und je länger wir liefen, desto weiter wanderte das Ziel, heute noch bis La Faba, einen urigen Bergdorf mit einer deutschen Herberge zu kommen in unerreichbare Ferne. Auf den letzen Metern mit den letzen Körnern Energie auch noch einen fetten Anstieg zu überwinden, ganz ehrlich, das war uns für den Tag zu viel des Guten. Also ganz entspannt in der letzen Ortschaft vor dem Anstieg einen Herberge suchen, Hauptsache eine Dusche und etwas Ruhe. So gerät man in eine andere Pilgerwelt, die wir zwar schon an der ein oder ander Stelle zu spüren bekommen hatten aber nirgend so deutlich wie hier.

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Kurz zur Einordnung, wir hatten ja schon über die verschiendenen Wege geschrieben, wie man den Weg angehen kann. Wir mit unsere Pure-Backpacker-Mentalitär waren aber mittlerweile auf dem Camino Frances in der Minderheit. Wer sein ganzes Gepäck, jeden einzelnen Meter über hunderte Kilometer schleppt und das seit mehreren Wochen, über jeden Pass, die endlosen Weiten der Meseta entlang und auch dann, wenn das Ding auf den Rücken mehr Ärger macht, als einem lieb ist. Das zwackt, drückt, der Rücken versteift sich, komische Muskeln, von denen man bislang nicht wusste, dass sie überhaupt existieren (z.B. kleine Muskeln unter den Schulterblättern) fangen eckelig an zu verkrampfen und ab Kilometer 25 ist man einfach nur noch in freudiger Erwartung, la Mochilla Grande vom Rücken zu bekommen.

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So auch an diesem Tag. Kommt man dann in das Mehrbettzimmer in der Herberge spielt sich die eingeübte immer gleiche Zeremonie ab. Rucksack auf den Boden und dann der unbändige Wille, schnell aus den dreckigen vollgeschwitzten Sachen rauszukommen. Wir hatten tolles Wetter, was zur Kehrseite hatte, dass man mehrmals am Tag mit einem Oberteil eine Wet-T-Shirtparty veranstaltet. Vollgeschwitzen, Pause, Sonne drauf und trocken, nur um dann sofort wieder zur "Dusche von innen" überzugehen. Also nichts wie raus. Jetzt hat man nur das Problem, dass man im Allgemeinen nur ein zweites Paar Klamotten dabei hat. Also Rucksack aufgeschnürt, neue Sachen ausgekramt, nebenbei das Bett beziehen, in der Herberge zurecktfinden, dann duschen, Klamotten waschen (meist per Hand, selten auch mal eine Waschmaschine), Klamotten aufhängen, Handy laden, danach was zu Essen organisieren, Essen. Immer der gleiche Ablauf, dessen einzelne Handgriffe mittlerweile zu einen Automatismus geworten waren und von außen wohl so aussahen, wie als wenn Arme und Beine zu einer rotierenden Schreibe geworden wären. Gerade bei Christian scheint dieser rastlose Zustand an dem Tag deutlich erkennbar gewesen sein. Der Pilger aus den USA der das Nachbarbett bezogen hatte unterhielt sich mit einem weiteren Pilger darüber, was in der Aussage gipfelte, so jemanden wie Christian könne man nur "gute Besserung" wünschen.

Muss ein erbärmlicher Anblick gewesen sein. Oder aber ist die Perspektive des Gegenübers ist eine andere. Bei der sehr konfortablen Pilgerherberge handelte es sich um eine touristische Herberge. Diese sind auf Pilger spezialisiert war, die ihre Rucksäcke nicht selbst tragen, sondern jeden Tag für 6 € auf die Reise zur nächsten, meist schon vorgebuchten, touristischen Herberge schicken. Da ist alles natürlich schon deshalb konfortabler, weil man nicht vom großen Rucksack den ganzen Tag Berg Hoch (Waden) und Berg Runter (Knie) gequält worden ist, wenn man am Schlafplatz ankommt. Auch die unterschwellige Furcht, dass man doch kein Platz mehr im nächsten Nest erhaschen kann, spielt für das allgemeine Empfinden eine gewisse Rolle. Christian quittierte den Wunsch nach Besserung mit einem wohlwollenden amerikanischen Smalltalk. 

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30.09.2023 - 29.Tag

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Molinaseca - Pieros 

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Das erste Rascheln der Mitpilger ließ auch uns aus unseren Schlafgemachen erwachen. Motiviert packten wir unsere Sachen und brachen auf. Draußen vor der Kirche lief schon der ein oder andere Pilger an uns vorbei. Es war noch ziemlich dunkel. Der Sonnenaufgang in Spanien lässt auf sich warten, um neun Uhr geht hier die Sonne auf und so erfreuten wir uns während wir einen Schritt vor dem anderen setzten an dem wunderschönen Sonnenaufgang am Weg.

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In Ponferrada angekommen, genossen wir ein sehr leckeres Frühstück in einem Cafe direkt an einer wunderschönen Burg der Templer, die Templerburg Castillo de Ponferrada. Diese liegt auf einen kleinen Hügel am Zusammenfluss der Flüsse Sil und Boeza. Nach dem wir Energie getankt hatten ging es weiter. Die Sonne war mittlerweile aufgegangen und brannte uns mächtig auf unserer Pilgergemüter.

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Wir nahmen fast jede Quelle mit, um unsere Köpfe abzukühlen. Irgendwann möchte man einfach nur noch ankommen, irgendwo, Hauptsache ankommen.

Aus einer kleinen Bar auf Donativo (Spenden-Basis) schaute ein Mann aus dem Fenster, der uns freundlich mit den Worten: "Buen Camino" grüßte. Christian hatte den Impuls dort halt zu machen, Melli wollte einfach nur Nudeln, also Energie (ja, hier auf dem Camino gibt es Nudeln). Also liefen wir genau 30 Meter weiter, um dann festzustellen, das wir doch zu jeder Zeit auf unseren Impuls hören wollten. Wir drehten um und nahmen Getränke und Kuchen zu uns. Hier wollten wir bleiben. Zu dieser Bar gehörte eine wunderschöne Herberge mit vielen liebevollen Details (einen Yogaraum zum entspannen, selbsgebaute stabile Betten, deren Füße aus Baumstämmen bestanden).

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Pieros hat gerade einmal 40 Einwohner. Dieser Ort ist auch einer dieser magischen Orte an denen man zur Ruhe kommt und nach innen kehren kann. Zurück zur Herberge La Luna, hier genoßen wir mit den anderen Pilgern ein mit Liebe zubereitestes Abendessen. Als der Mond aufging und wir einen wunderbaren Blick auf diesen Moment hatten, wussten wir warum diese Herberge ihren Namen hat. Seit 16 Jahren gibt es diese Herberge nun schon und dennoch hat sie ihren ganz speziellen Pilgerflair erhalten.

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Um 22 Uhr gönnten wir unseren müden Gliedern endlich eine Mütze Schlaf.

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29.09.2023 - 28.Tag

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Foncebardon - Molinaseca

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Ausgeschlafen. Um 8:00 Uhr schaute Melli das erste Mal auf die Uhr und es fühlte sich an als hätte man verschlafen. Für Pilgerverhältnise ist 8:00 Uhr relativ spät aber uns steckten wohl doch noch die 46 km in den Knochen. Also raus aus dem Zelt und ab auf die schon sehr belaufene Pilgerautobahn. Was wir nicht verschweigen wollen ist jedoch, dass wir am gestrigen Tag einen Ruhetag brauchten. Ja brauchten, nach der Tour vom Vortag war das einfach notwendig. Wir sind daher schon am 28. Tag, wenn wir hier weiterschreiben.

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Heute geht haben wir in erster Linie ein Ziel, das Cruz de ferro. Dafür mussten wir unsere müden Glieder, natürlich nach einem ausgibigen Frühstück, einen doch sehr steilen Anstieg hinauf schieben. Am höchsten Punkt des Caminos, nämlich an ebendiesem Cruz de Ferro mussten wir zunächst einmal abwarteten, denn es waren Pilger vor uns, die dabei waren ihren Stein abzulegen. Wir ließen diesen Brauch und die Gesichter der Pilger auf uns wirken. Hier ist einer der besten Plätze um alle seine Sorgen, Ängste oder Ähnliches zurück zu lassen. In der Vergangenheit diente der riesige Steinhaufen der Ausschilderung der richtigen Route. Heute wurde diesem Brauch eine neue Bedeutung zugeschrieben. Jeder Stein der dort abgelegt wird steht für einen Schmerz oder eine Schuld. Dieser Ort, wenn man ihn zu Fuß belaufen hat, berührt einen so dermaßen, dass kann man nicht in Worte fassen. Das muss mal selber erleben, am eigenen Leib spüren.

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Christian war diesmal nicht dort, um seine Sünden abzulegen, das hat er schon 2016 gemacht und da dies ein heiliges Jahr war, sind in für die Ewigkeit alle Sünden verziehen. So zumindest seine Interpretation. Daher war diesmal etwas anderes dran. Christian hatte es sich zur Aufgabe gemacht, einen Stein (den er Jakobus getauft hatte) von Saint-Jean-Pied-de-Port bis zum Crux der Ferro zu tragen. Das Ding wog ein dreiviertel Kilo oder das Equivalent zu drei kleinen Bierflaschen. Ebensolche haben wir auf dem Camino schon mal 2 Tage mit uns rumgetragen. Denn spätestens seit den Kassierern wissen wir: Das schlimmst ist, wenn das Bier alle ist. Bber das ist eine andere Geschichte.

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Den Stein hat Christian aus dem Holzberg, einem Steinbruchrestloch in unserem Heimatdorf mitgebracht. Dieser soll nach Willen einer Abbruchfirma bis oben hin mit Erdaushub und so ist zu mutmaßen mit anderem Mist aufgefüllt werden. Seit Ewigkeiten (also so 2019 rum) engagieren wir uns nun schon für den Erhalt des Holzberges. Christian wollte wohl durch seine Schlepperei ein Zeichen setzen. Das Zeichen drückte sich vor allem dadurch aus, dass er seit Tagen davon redet, dass der Rucksack bald leichter werden sollte. So wurde es dann auch zwangläufig. Ein Stück des Holzberges blieb am Cruz de Ferro und es bleibt zu hoffen, dass die Sache mit dem Holzberg ein gutes und auch nachhaltiges Ende nimmt und das ist nicht die Verfüllung für die Profitinteressen eines regionalen Familienunternehmens.

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Wen man ganz oben ist muss man bekanntlich auch wieder runter. Gefühlte Stunden schlängelte sich dieser Weg über schmale steinige Pfade nach unten und zwar ziemlich steil. Die Waden wollen schließlich auch traniert werden. Das ging in die Knochen und auch die Knie meldeten sich ziemlich schnell zu Wort. Wenn sie sprechen könnten würden sie wohl sagen. "Willst du uns verarschen? Seit Wochen halten wir jetzt diesen Mist tagein tagaus aus. Aber jetzt noch Vollbelastung? Und echt Chri, komm uns jetzt nicht mit dem Scheißargument, dass der Stein doch oben geblieben ist." Aber war wirklich entschädigte, war die pure geballte Schönheit der Natur, die uns von allen Seiten umarmte. OK, ausblenden muss man 0 und 180 Grad Sichtfenster, Pilger, Rucksäcke, Pilger ohne Rucksäcke, Pilger mit Hartschalenkoffern (also die trägt Jacko-Trans, der Pilger trägt nur seinen eigenen Kadaver), Pipistellen, Klopapier (zum richtigen Toilettieren in der Natur könnten wir dann noch einen extra Blogbeitrag schreiben, oder besser nicht :-) ) aber an sonsten die geballte Schönheit der Natur.

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Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir in Molinasica angekommen und auch wenn dieses Nest irgenwie unheimlich ist wolten wir keinen Schritt mehr weiter gehen. Also ab in die Herberge um die Ecke. Zwei Plätze frei, super nehmen wir. Die Herberge war richtig schön, gute Betten, warmes Wasser, das Pilgermenü nahmen wir nicht mit, dafür fanden wir einen tollen Biergarten in dem zwei lokale Jungs seit 2 Jahren einen Stand mit Hamburgern und tollen Hot-Dog betrieben. Das war ein toller Abend.

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27.09.2023 - 26. Tag

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Villavante - Foncebadon

Fazit des Tages: wtf

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Wieviel geht? So könnte man den Tag überschreiben. Jedoch von Beginn an. Wie schon zu gestern geschrieben, endete unser Tag im Zelt. Wir haben ein eher luxeriöses Zelt dabei, nichts so eine Plasteschlafhöhle, in der einem zu zweit nach einer halben Nacht das Kondenswasser wieder zurück in den Schlafsack kriecht sondern eines der besseren Sorte. Dreipersonenzelt mit einem Gewicht von nur 1,9 kg dazu 4 cm Isomatte und schöne Schalfsäcke. Selbst viele der Verrückten, die hier den Jakobsweg gehen, können sich eine Nacht außerhalb der Herberge nicht vorstellen. Als wir gestern ca. 20 Uhr die einzige Herberge im Ort verließen und nicht wie die anderen Mitpilger vermuteten auf das Mehrbettzimmer gingen, offenbarten wir, dass wir vorhaben draußen zu nächtigen. "Das sind ganz Harte" hörten wir sie beim weggehen raunen. Wenn die wüssten, dass man in einem High-Tech-Zelt mit fetten Isomatten besser pennt als in einer dieser hermetisch abgeschlossenen Zimmer mit 10 oder 15 Leuten, unter denen sich immer 2 Huster und 3 Schnacher befinden, dann würden wir draußen mehr Gesellschaft bekommen. OK, das Duschenproblem bleibt. Die Konfortzone ist immer individuell, der Camino verschiebt sie, wie weit, entscheidet jeder selbst.

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Das gute am Draußenpennen ist, dass man früh ohne großes Geraffel wegkommt. Mittlerweile sitzen alle Handgriffe, sodass vom Zeitpunkt des Aufwachens bis zum Zeitpunkt an dem Abmarschbereitschaft hergestellt ist nur noch rd. 15 Minuten liegen. Rd. 7 Uhr war es so weit. Pierre hatten wir zwar mit geweckt, ob er sich nach unser Abreise nochmal hinlegte, ist uns nicht bekannt geworden. 

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Es hat diverse Vorteile, wenn man früh auf den Beinen ist und noch mehr, wenn man früh auf den Beinen ist und keine Möglichkeit hat sich Ewigkeiten mit unnützen Kleinigkeiten wie Körperhygiene und Frühstücken (in Spanien wird eh eher klein gefrühstückt) aufzuhalten. Einer der Vorteile, die man auf dem Camino hat: Man macht Meter.

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So liefen wir einigermaßen stringent und ohne uns zu lange im Schatten oder in Bars oder gar im Schatten in Bars aufzuhalten den jetzt sich doch langsam verändernden Weg entlang. Das Meseta-Feeling wich langsam aus unseren Knochen, es gab zwar immer noch dies ellenlangen Geradeausstrecken, diesen waren jedoch in vertikaler Hinsicht abwechslungsreich. So ging es auch mal einen Berg hinauf und wieder hinab und der rote Sand vor Astorga erschwerte zwar hin und wieder mal das laufen, gefühlt 2 Meter vor 50 cm. zurück aber man machte Meter. Wie das auch anders sein kann kannte Christian von seinem 2016er Camino. Der tagelange Regen hatte den roten Sand in eine Art Kaugummimasse verwandelt, die sich um die Stiefel legte und am Ende zu schweren Klumpenfüßen führte, die einen nur langsam trugen. Nicht so bei uns diesmal, schnell waren wir in Astorga und wurden von "La Cucaracha" schnell wider aus Astorga vertrieben. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um die gemeine Küchenschabe, sondern wie sich zeigte um eine besondere Art des Flamengospielers.

Einschub: An dieser Stelle gehen liebe Grüße an unseren gemeinsamen Freund Daniel aus Leipzig raus. Hier ist er ins Leben von Christian getreten.

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Aber zurück zu La Cuccaracha. Wir essen in Astorga zu Mittag, sind gerade fertig und ein Gitarrenspieler läuft die Straße entlang. Sonnengegerbte Haut, schwarzes Haar und eine etwas schmutzige Gitarrentasche. Er sei Flamengospieler, hören wir aus dem Schwall Spanisch heraus, der auf uns einprasselt. Schwups ist die Tasche offen und der Senior spielt ein Lied und dreht dabei seine Gitarre in regelmäßigen Abständen im Rythmus um die eigene Achse. Irgendwie cool, iregendwie komisch. Es folgte das alte Traditional La Cuccaracha über das es lustige Stories gibt. Hier sei ein Blick ins Wikipedia anempfohlen. Nächste Woche wird es abgefragt und ihr müsst die Frage beantworten wie ein mexikanischer General laufen konnte und an was es ihn an lauffaulen Tagen mangelt. Das Lied war jedoch auf den ersten Blick als billiger Pilgerfang ausgestaltet. Auf die Küchenschabe, die ein Bein verloren hat und trotzdem tanzt folgte ein Text in dem wirklich jedes Pilgerwort vorkam. Santiago, Peligrino und so weiter. Christian griff seine Gitarre und nam die Aufforderung sich zu messen gern an. Folson Prison Blues, geschrieen am Mittag in irgendeiner Hauptstraße von Astorga. Dem Ami neben uns, John, gefiel die Einlage. Guter Mann. Spätestens hiernach mussten wir die Stadt verlassen, was wir auch schlenderden Schrittes und gut gelaunt und gekleidet taten.

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Es folgte eine Begegnung mit Hubert aus Frankreich, zu der wir einen extra Teil schreiben müssen, so spannend und interessant waren seine Aufführungen an denen er uns auf seinem 19en Camino teilhaben lies, den er mit seiner Tochter und deren Freund lief. Nur anders, auf alten Wegen. Hierzu wie gesagt in einem extra Artikel.

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Hiernach fingen die Dummheiten an. Verraten wird nix, wers wissen will, muss unser Gelaber ertragen. Am Ende stand der Kilometerzähler um rd. 22 Uhr bei 46.

Und selbstverständlich hat uns Lena aus der Herberge Monte Irago ihren traumhaft gelegenen Garten zum Zelten überlassen. So eine tolle Herzensfrau. Danke dir Lena. Richtige Pilger schätzen genau solche Plätze wie Monte Irago hier findet man exzellentes Essen, eine liebevoll geführte Herberge und genau dieses Gefühl von Freiheit, was man nur auf dem hächsten Punkt auf dem Camino hat. Nie haben wir auf dem Camino näher am Himmel gepennt als in Foncebadon. Ein Sehnsuchtsort und auch ein Stück Heimat.

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26.09.2023 -  25. Tag

 

Oncina de la Valdoncina - Villavante

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Selbstverständlich haben wir alle drei in dieser so liebevollen Herberge sehr angenehm genächtigt. Langsam aus dem Bett gekrochen, Katzenwäsche (das macht man auf dem Camino morgens so), Donativofrühstück genossen und ab auf die Pilgerautobahn. Ein kleines Stück sind wir noch mit Pierre zusammen gelaufen, dan verabschiedeten wir uns mit den Worten: "See you in the next Bar". Die nächste Bar sollte jedoch nicht unser Wiedersehen sein, denn diese hatte geschlossen. Hier auf dem Camino ist das Planen manchmal fast unmöglich. Also planlos geht der Plan los.

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Diese Etappe zog sich wieder wie Kaugummi und jedes Mal, wenn wir dachten, da hinten ist eine Bar, war diese noch mindestens 4 Kilometer entfernt. Wir nannten diesen Weg: "Camino de Motivatones." Kilometerweit ging es, auch mal auf der asphaltierten Strasse entlang, weiter. Abwechslung hatte man nicht viel, außer den Untergrund des Weges. Auch Schattenplätze waren sehr begrenzt und wir genoßen wirklich jeden dieser Schattenplätze, denn es konnte dauern, bis uns der nächste Baum mit Schatten beglückt. Dennoch war unsere Stimmung erhellt, warum? Wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Vielleicht war es die gute Gesellschaft am Vorabend oder sonstige Umstände. Fakt ist, das Gefühl war gut, also einfach gut sein lassen.

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Jeder, der sich schon mal gezwungen hat, eine Stunde aus ein und dem selben Fenster auf unbewegliche Landschaft zu starren, sollte es kennen. Irgendwann ist man nicht mehr beim Bild vor einem sondern in sich versunken. Gedanken kommen auf, das innere Zwiegespräch mit sich selbst beginnt. Genau das macht das stetig fast unveränderte einer langes langen Weges in karker Landschaft mit einem. Manche lenken sich von der Langeweile ab, in dem sie Musik hören, gute Gespräche mit Mitpilgern haben, singen, Primzahlen hoch und runter denken, manche betrachten einfach das Bild des sich immer mal ändernden Weges vor sich um dann nach 10 Minuten mal wieder die Umgebung zu "checken". OK, Straße noch da, links Maisfeld rechts Unkraut (wie abwechslungsreich der Weg doch ist, vor 10 Minuten waren das Maisfeld noch links und das Unkrautfeld war rechts), OHA, in der Ferne ein Gebäude, schauen wir mal in 30 Minuten, ob der Weg dort wirklich hingeht und was es ist, an sonsten folgt jeder kleinen Erhebung, jeder Kurve, die einen weiteren Blick auf den Weg zulässt immer nur der Gedanke "Cool, weiter geradeaus. Wie weit? Who Knows? Irgendwie erinnert das Gelatsche mit Konzentration auf die kommenden 2 oder 3 Meter, sehr an Felsklettern, nur hier halt ausschließlich horizontal.

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Wir waren trotzdem, oder gerade deswegen, sehr schnell unterwegs. Schneller als Pierre, der uns mit seinem 22 kg Rucksack noch manchmal auf dem Weg ins Gedächtnis kam. Mit so einem Eselsgewicht auf dem Buckel tat er uns fast leid. Packesel war Christian auch aber wir würden mal behaupten, dass Christian mit 68 Jahren auf andere Ideen kommen würde, als so unterwegs zu sein. 5 Km vor Villavante haben wir für Pierre aus Steinem noch eine Nachricht hinterlassen, damit er so wie wir, motiviert den Weg zur Bar findet. Mit Steinen schrieben wir in furchbar falschen Englisch "We are wait at the next bar" an den Weg. Für das "ing" war die Suche nach Steinen doch nicht so wichtig.

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Wir hatten dann irgendwann diesen doch etwas eintönigen Weg hinter uns gebracht, eine scharfe Rechtskurfe und ein kleiner Schattenplatz am Rande des Weges brachten uns in den Ort und dann in die erste Bar. Halt, eigentlich war es eine Alberque mit angeschlossenen kleinen Barbetrieb. Der Burger, den es dort auch tagsüber gab (besser als trockenes Brot mit Käse oder Seranoschinken, Boccadillos wie es hier heißt) war groß überladen mit allem und von der kulinarischen Qualität eines Boccadillos, aber er gab Energie. Energie, die sich in der Idee manifestierte, jetzt zum Weg zurück zu gehen und ihn mit einem kühlen Bier zu überraschen. Gesagt getan.

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Bis unser guter Freund Pierre auftauchte, begrüßten wir eine Menge Pilger, entwerder mit Musik aus der Gitarre oder mit netten Worten und guten Nachrichten, die diese sicher gebrauchen konnten. Nämlich, das sich 300 Meter weiter in den Ort hinein eine Bar mit Albergue befindet. Diese Gesichter der ankommenden Pilger sprachen Bände. Dieser Weg war hart.

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Was fehlt noch? Na ja die Herberge war nicht so einladend und Pierre hatte auch ein Zelt dabei. Also war die Sache schnell klar. In Spanien ist das zelten zwar verboten aber so lange man am Weg bleibt und niemanden stört (z.B. sollte man nicht auf landwirtschaftlichen Flächen übernachten, auf denen einen 6 Uhr morgens der Traktor überfährt) sagt im Allgemeinen niemand etwas. Also bleibt man so lange in der Herbergsbar und trinkt das ein oder andere Cervecia, bis so im 20 Uhr langsam die Sonne untergeht. Dann alle raus, routiniert die Zelte aufbauen und gute Nacht. Das einzige was man wirklich vermisst ist die warme Dusche und die sauberen Klamotten, die man auf diese Weise nicht hat. Aber ist doch nach nur 20 km kein Problem und morgen sollte es schon irgendwo eine Dusche geben.

 

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25.09.2023 - 24. Tag

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Leon - Oncina de la Valdoncina

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Wir sind für unsere Pilgerverhältnisse an diesem Tag relativ spät im Hotel aufgewacht und unser Impuls war es, einfach schnell raus aus dieser Stadt. Leon ist sehr schön und die Kathedrale ein Himmelswerk. Jedoch hatten wir echt verdammt die Schnauze voll, irgendwie war alles doof.

 

Triggerwarnung. Um es klar zu sagen, nein der Camino ist nicht nur Spass, er ist auf seine Art und Weise auch harte Arbeit, Verzweiflung, Schmerzen an Stellen, die man vorher noch nie wahrgenommen hat, eine mentale Herausforderung sondersgleichen und es gibt auch Tage, an denen man sich einfach fragt, warum man als normaler Mitteleuropäer im 21. Jahrhundert auf die Idee kommt, sich so etwas anzutuen. Was macht der Camino mit einem? Warum tut er? Dafür gibt es immer mal wieder auf dem Camino Antworten, die zwischen den Pilgern weitererzählt werden. Die Kurzvariante geht so: Am Anfang zerstören die Pyrenäen deinen Körper, dann die Meseta deinen Geist und wenn man großes Glück hat, wird man ab Ende neu geboren. Eigentlich keine so guten Aussichten. Aber wers mag.

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Gemeinsam tranken wir noch schnell einen Caffe con Leche an der Kathedrale und Melli lief wieder vor. Raus, schnell raus hier! Am Stadtrand, und bis dahin zog es sich ewig, blieb Melli stehen und fragte sich, welcher Weg wohl der richtige ist. Impuls war es, genau hier auf Christian zu warten und das sollte wohl so sein. 

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Aus Sicht von Christian sah die Sache in etwa so aus: Warum rennt Melli vor der Kathetrale denn jetzt los? OK, warum nicht? Zeit für noch einen kleinen Besuch in einer Kirche, die ihm schon 2016 positiv aufgefallen war. Hier hatte er von einem Almosensammler den Tipp bekommen, doch mal im hinteren Teil der Kirche durch eine kleine Tür zu gehen, was einen in eine Seitenkapelle bringt, die deutliche Templerzeichen aufweist. Dort wiederum stand man vor einem imposanten Altar und der Mönch der vor dem Altar die ganze Zeit zu beten schien, führte einen durch eine kaum erkennbare Tür in Mitten des Altars zu einem Hinterzimmer. Hier gab es den Stempel für den Pilgerpass.

 

In dieser Zeit lief Melli bereits einem Donativostand (auf Spendenbasis) in die Arme. Da stellen sich wirklich Menschen hin, die die Pilger mit Essen und Trinken versorgen. Was für eine tolle Geste!

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Danach raus aus der Stadt. Kein schöner Weg stundenlang durch Vororte schlendern, an Läden, Bars, Geschäften jeder Art und eine Unmenge von Menschen vorbei. Für die Laune ist das nicht besser, Städte sind nicht das Ding vom Dorfkind-Chri. Also mit sehr schlechter Laune von A nach B laufen und sich überlegen, warum man sich den Scheiß hier antut. Könnte man doch jetzt gerade auch auf einem Kreuzfahrtschiff hängen, oder irgenwo an der See, oder in einer lauschigen Berghütte beim Alsterwasser. "Nein, du Trottel schleppst 20 kg Unsinn durch laute, dunkle oder wahrweise unerträglich sonnige Straßen in the fucking middle of fucking Spain und du hast keine Ahnung ob es jemals besser werden wird, oder du nach 6 Wochen Sabattical reif für einen Urlaub bist." So oder so ähnlich muss es sich im Kopf von Christian abgespielt haben.

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Szenenwechsel 5 Minuten später. Christian trifft Pierre aus Franzreich. Doofe lange Straße aber was läuft da auf der anderen Seite? Trägt da jemand eine Gitarre. Sollte es wirklich noch einen Trottel geben, der das auch so macht? Bingo. Immer wenn du denkst, dass du verrückt bist, triffst du den nächsten noch Verrückteren. Professioneller Pianospieler im Ruhestand unterwegs mit einer 4 kg Gitarre aus Carbonfaser und mit elektrischer Unterstützung des Klanges. Bei den Namen der Künstler mit denen Pierre schon so durch die Welt gezogen ist, schlackerten Chri die Ohren, gerade weil auch ein paar Lieblingsinterpreten von Chri wie Manu Chau dabei waren. Chri und Pierre hatten schnell eine Wellenlänge und liefen an 2 Bars vorbei, schlussendlich Melli in die Arme.

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Wir entschlossen uns mit Pierre den weiteren Weg gemeinsam zu bestreiten. Wir können uns leider nicht mehr erinnern, wieviele Bars wir auf diesen Weg mitnahmen aber wahrscheinlich war es jede, die uns in die Arme lief. Die letzte Bar an diesem Tag, sollte unser Schlafplatz werden. Die Hospilera sah Christian und Pierre mit ihren Gitarren auf den Rücken und offenbarte den Proberaum ihres Mannes. Na, ihr könnt euch denken, dass Christian sofort ein Herz und eine Seele mit dieser Herberge war. Dieser Ort war auch einer dieser vielen magischen Orte auf dem Camino. Ein Ort an dem man die Seele baumeln lassen kann. Das Nest hatte gerade mal 50 Einwohner aber genau das brauchten wir an diesem Tag - und gute Gesellschaft. Melli genießt gute Gesellschaft. Dementsprechd genoß sie die Zeit mit Pierre (ein sehr warmherziger, rücksichtsvoller Mensch) außerdem war die Herbege sehr liebevoll geführt.

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Als wir nach einem kurzen Siesta (das war nach dem Barmarathon notwendig) wieder in den liebevoll gestalteten Innenraum (hier war jemand mit Blick für das Detail am Werk gewesen) kamen, fragte uns so ein spanischer Typ mit leicht verrücktem Aussehen, ob wir die Gitarren heute noch benutzen. "Nein" war keine Option, auch nicht der Wille, völlig fernliegend uns so freuten wir uns auf einen weiteren feucht fröhlichen Verlauf des Abends mit ein paar fetten Gitarrenriffs. Miquel der Hospiliera und sein Bandkollege an den Leadgitarre spielten mit Pierre und Chri den ganzen Abend als wären sie eine Band. Nur einen Schlagzeuger gab es nicht, aber Pierre hat schon Recht, wenn er behauptet, Schlagzeug könne jeder Musiker so ein bisschen. Der Abend endete in einem Drei-Zimmer-Raum, der, eigentlich als privat gekennzeichnet wohl für uns extra aufgemacht worden war.

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23.09.2023 - 22. Tag

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Reliegos - Leon

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Heute Premiere: das Pensum bis Leon (kurzer Tag, nur rd. 25 km) war kurz und die vorherige Nacht war lang. Ziemlich spät waren wir aus der Elvis-Bar rausgefallen und in unsere Betten, Gott sei Dank hatten wir uns ein Zimmer gebucht, reingefallen. Wir hatten uns in weiser Voraussicht informiert, ob es nach 22 Uhr möglich ist ins Bett zu kommen. Hierzu muss man wissen, dass es Herbergen gibt bei denen um 22 Uhr die Tür zugeht und wer draußen ist bleibt draußen. Hier war es nicht so, vielmehr wurden wir zwar darauf hingewiesen, dass es gut sei, nicht nach 22 Uhr noch Krach zu machen, wir jedoch einen eigenen Schlüssel bekommen. Vor dem Hintergrund war es auch einfach, zunächst davon auszugehen, dass wir 22 Uhr eh zurück seien. Es wurde etwas später.

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Melli hatte zudem entschieden, heute mal etwas vorzulaufen und den noch immer mit den Nachwirkungen von gestern zu kämpfenden Chri etwas mehr Schlaf zu gönnen.

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Erstaunlich einfach lief der Tag durch. Supper Wetter super Weg und auch das große Bier, was sich Christian früh aus Versehen bestellt hatte tat das, was ein Konterbier tun soll, es lässt einen ohne weitere Beeiträchtigung laufen. Das war es dann aus - Laufen. Seht selbst.

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22.09.2023 - 21. Tag

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Bercianos del Real Camino - Reliegos

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An der Stelle, wo wir uns gerade befanden, folgt der Jakobsweg zwei verschiedenen Routen. Hier handelt es sich auch nicht um die hin und wieder anzutreffenden lokalen Umleitungen, um den Strom der Pilger umzuleiten. Gründe hierfür sind mutmaßlich kommerzielle, weil hunderte Pilger, die tagtäglich ein und den selben Weg gehen, besonders für die Gastronomie gute Einnahmen versprechen. Hier jedoch scheinen solche Gründe nicht ausschlaggebend zu sein. Es gibt eine Route, die sich südlich meist an der Seite einer Straße entlangschlängelt und eine nördliche Route, die etwas ländlicher und auf den Spuren der alten Römer (man geht über eine weitgehend original belassene rd. 2.000 Jahre alte Römerstraße) verläuft. Weil Christain die Römerroute 2016 schon mal gegangen ist und die südliche Route daher Abwechslung versprach entschieden wir uns die südliche Route zu nehmen. Diese schlängelte sich gefühlte Ewigkeiten gerade aus. Zwar war das Land etwas wellig, die Wellen in der Landschaft erinnerten aber nicht an ein deutsches Mittelgebirge, sonder die Anstiege zogen sich über Kilometer hin und überwunden dabei nur ein paar wenige Meter. Auch aus vertikaler Richtung also keine Ablenkung. Horizontal passierte eh nix.

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Wenigstens gab es hin und wieder ein kleines Nest mit einer kleinen Bar zum Zwischenstopp. Kontinuierliche Aufnahme von Wasser, aber auch von Stärkungen dazwischen ist für die kontiunuierliche Aufrechterhaltung der eigenen Leistungsfähigkeit essentiell. Für uns sind es Bars im Allgemeinen aber dazu später, und weil wenn wir nach Reliegos wandern dann wanderten wir allem zu einer Bar. Die Bar Torre in Reliegos ist ein echtes Original. Bereits vor vielen Jahren war der "Elvis vom Camino" wie "El Comandante" (Ähnlichkeit ist vorhanden) oder im reellem Leben Sinin eine Legende. Wenn er die Bar aufmacht, was in letzter Zeit wohl nicht jeden Tag sein muss, dann geht die Post ab. Das liegt nicht nur an Sinin sondern auch an den tausenden Sprüchen und Malerein an den Wänden und Decken. Aber ohne Sinin wären auch das nur bemahlte Steine, die man übrigens auch unterwegs zu Hauf findet.

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Bei einer näheren Inspektion der Bar, konnte man aus dem Hinteren Teil, der sich höhlenartig an die Bar anschließt Geräusche hören. Präziser war es Gepfeife. Elvis war gut drauf, die Bar sollte heute aufmachen. Also erstmal davor auf dem Bordstein eine Dose Bier aufmachen und warten. Und weil das Warten in der spanischen Nachmittagssonne langweilig werden kann, schon mal ein bisschen auf der Gitarre üben. Irgendwan schaute eine Person aus der Kneipe raus, er war schon vorn. Wenig später ging die Tür auf und ein Ritual schloss sich an. Draußen Stühle herrichten, drinnen wischen, pfeifen und schon laute Countrymusik zu der Sinin hin und wieder pfiff. Eine Szene für die Götter und Verkörperung eines ganz bestimmen Gefühls der Weite und Freiheit.

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Wie bestellt, so geliefert. Am Abend wechselten sich Cerveca, Musik, eine ganz besondere Stimmung, ein ganz besonderer Ort, Musik aus der Gitarre, Schlagzeugeinlagen von Sinin (auf seiner Bar gibt es zwei stark abgenutzte Flecken, die er mit dem Trommelspiel über die Jahre durchgewetzt hat), Cola und Rotwein gemischt, tolle Gespräche und eine ausgelassene Stimmung ab. Präzise wechselten sie sich nicht ab, sondern sie flossen ineinander über und bildeten eine ganz bestimmte Melange, die man nur an ganz ausgesuchten Plätzen mit eigener Gefühlsanbindung erleben kann. Auch hier ist ein Stück zu Hause.

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Weil wir auf der Hauptseite niemanden das Geschrei von Christian antuen wollen, hier geht es zur Seite "Musik und Gebrüll".

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21.09.2023 - 20. Tag

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Legidos - Bercianos del Real Camino

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Wahrscheinlich weil wir es uns in den letzten Tagen so gewünscht hatten, überraschte uns der Camino an diesem Tag durch ausgesprochenes Sauwetter. Bereits in der Nacht hatte man es auf dem Dach der Herberge, unter dem wir untergebracht waren, laut klacken hören. Wir hatten uns doch nur etwas Wind und weniger Sonne gewünscht. Jetzt bekamen wir Starkregen, gefühlt eisige Temperaturen und Wind, der einen teilweise richtig Gegenarbeiten lassen musste. Gerade mit den großen Rucksäcken fühlt sich hierbei eine kurzzeitige Flaute sofort so an, als ab man nach vorn gezogen werden würde. Der Wind blies den ganzen Tag natürlich nur in eine Richtung und das war die unserem Weg entgegengesetze. Spass war es.

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Nach ca. 10 km, Melli hatte bereits klitschnasse Füße, haben wir die angeblich coole Bar erreicht. Für Melli war diese Bar kurz mal gar nicht cool.  Sie bat dem Barkeeper um Papier, damit sie ihre Schuhe zumindest einigermaßen trocken bekommt. Der aber lachte nur ein "noo"aus. Na ja, dann nicht, hätte eh nichts gebracht, dann halt einen Caffe con leche. Zum Glück haben wir uns jeder Wandersandalen gekauft, mit denen ist Melli dann halt die restlichen km gelaufen. Am Ende waren die Folgen des Christian-in-Wandersandalen Hinterherrennens (das waren deutlich mehr als 5 km/h) einfach nur Aua!

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Das Wetter wurde dann zunehmend besser, außer natürlich der Wind. Der sollte mit uns bis zur Tür der heutigen Herberge Armdrücken spielen. Wenn sich das Wetter bessert wird man schnell übermütig. Das Ergebniss war ein kulinarischer Genuss sondersgleichen, den sich Chri auf "gut Glück" zum Mittag bestellte. Das letzte Mal hatte er mit rd. 15 Jahren Flecke und das hatte einen Grund. Das zweite Mal war zwar besser, aber besser ist hier noch mindestens soweit von gut entfernt, wie wir noch von Santiago de Compostella.

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Der Tag endete in einer Herberge mit den besten Matratzen, die wir in einer Herberge je erlebt hatten, dazu Kojenbetten mit Vorhang, echter Luxus. Dass die Klimaanlage die ganze Nacht mit einer Lautstärke, die an Schnarchhöhlen erinnerte, auf voller Pulle pustete war da zu verzeihen, an Wind waren wir ja heute gewöhnt. Der Luxus der war spätestens dann erklärlich, als wir auf dem Weg in unser 16-Personen-Gemeinschaftszimmer über eine ganze Armada an Hartschalenköfferchen steigen mussten, aus denen sich später das dritte Paar Schuhe und das vierte Abendkleidchen auspacken lassen. Klar, jeder läuft seinen Weg ganz so wie er will. Aus unserer bescheidenen Perspektive, der wir unseren ganzen Mist jetzt schon ein paar hundert Kilometer auf dem Buckel mit uns rumtragen, mutet das Treiben jedoch zunehmend befremdlich an. Uns war auch die fehlende Atmosphäre an diesem Tag egal, weil wir eh unsere Ruhe wollten, die wir in den geräumigen Schlafkojen dann auch finden sollten.

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20.09.2023 - 19. Tag

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Carrion de los Condes - Ledigos

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Wir hatten einen Plan. Den Plan ganz früh loszugehen. In der Großherberge hatten wir im gemischten Schlafsaal (es gab auch Schlafsäle getrennt nach Geschlechtern) "Amerika" die zwei Betten ganz zu Beginn des Zimmers, welches früher mal ein Klassenraum einer mutmaßlich christlichen Schule war, bekommen. Die perfekten Voraussetzungen also für einen frühzeitigen Start, der uns besonders schohnend über die 15 km geradeaus bringen sollten. Melli wachte so gegen 6:30 Uhr auf und erschrak. Sah sie sich doch im ersten Frühdusel einem fast leergefegten Saal gegenüber. Wo waren denn die vielen Mitschnacher geblieben? Wir konnten nur mutmaßen, dass die genau den Plan wie wir auch hatten, nur sich mittels technischer Geräte eher aus dem Schlaf haben reißen lassen. Dabei hatten uns das Gewusel trotz strategisch guter Postierung direkt an der Tür nicht aufwecken lassen. Egal, dann würden wir also die lange Etappe mit allen Sinnen geniesen können.

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Schlussendlich war es gar nicht so schlimm, woran aber auch der Food-Truck Schuld sein könnte, der in der langen Gerade-Aus-Strecke ungefähr auf der Hälfe überaus köstlichen Caffe con Leche und allerlei Süßigkeiten aufboten. So frisch gestärkt und zusätzlich gepowert von dem überaus freudlichen Angebot eines Mitpilger, uns an seinen Haribo teilhaben zu lassen, erreichten wir gut gelaunt die Stelle an der ein Abfall im Gelände den Weg dazu zwingt dem Pilger den Blick auf die eben erreichte Bar preiszugeben. Den zum Dorf gehörigen Kirchturm sieht man nämlich schon seit rd. 45 Minuten und der kommt und kommt einfach nicht näher. Unmittelbar vor Ereichen des ersehnten Landstriches, an dem Zivilisation zumindest vermutet werden kann, macht der Weg nochmal eine bedenkliche Linksbiegung die auch die gedankliche Möglichkeit eröffnet, dass der Kirchturm eine verräterische Wegmarke ist. Spoiler: Alles gut.

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Der Weg ging weiter und weder die ganz schön heißen Temperaturen, die einen manchmal schon nach Wolken, etwas Wind und vielleicht sogar den ein oder anderen warmen Sommerregen wünschen lassen. Spoiler: Unser Wunsch sollte in Erfüllung gehen, mehr als uns lieb war. Aber das kommt erst später.

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Die Herberge, in der wir in einem geräumigen Dachboden untergebracht waren, war erst im letzten Jahr in Legidos eröffnet worden. Die Herberge bot Zimmer und auch ein Pilgermenü mit irre vielen Auswahlmöglichkeiten an. Nur die Uhrzeit des Essens war mit 19 Uhr ziemlich spät, was uns dazu veranlasste in Legidos, einem Nest mit 70 Einwohnern nach der zweiten Herberge mit Bar Ausschau zu halten. Für mehr als ein Bier hat es dort nicht gereicht, da erschien uns unsere Herberge dann am Ende doch als die bessere Alternative.

Noch ein paar Worte zu den verschiedenen Herbergen. Der Pilgerführer unterscheidet ziemlich grob in

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- staatliche bzw. kommunale Herbergen

- private Herbergen

- touristische Herbergen (die wohl im Gegensatz zu privaten Herbergen auch Nichtpilger übernachten lassen)

- kirchlichen Herbergen

- von Vereinen geführte Herbergen

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und darüber hinaus, kann man auch eine ganze Reihe von Hostels, Pensionen und nicht zuletzt insbesondere in den Städten Hotels jeder Güteklasse aufsuchen. Zu diesen Unterkünften lassen sich nun die aus unserer Sicht grundsätzlich verschiedenen Arten von Pilgern zuordnen. Was gibt es für Pilgertypen? Der Versuch einer Kategorisierung: 

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- Naturfreaks (tragen Zelte mit sich in den sie wenn möglich auch nächtigen)

- Puristen (schlafen grundsätzlich in der günstigsten Herberge, essen niemals im Restaurant, kaufen Brot für den Tag und kochen gemeinsam mit Mitpilgern)

- Alberqueschläfer (Hauptsache es heist Herberge, Hotels und Pensionen (vieleicht sogar noch mit Einzelzimmern) werden grundsätzlich gemieden)

- Alles-Kann-Nichts-Muss (denen ist es egal wo sie schlafen, die Unterkünfte können eine weite Bandbreite haben, manche haben zur Sicherheit ein Zelt dabei)

- Pilgern-Yes-Pain-No-Pilger (schläft überall gern mal, jedoch reist er ohne Rucksack, manche haben auch keinen Rucksack dabei sondern Hartschalenkoffer, die sie ganz gemütlich von Herberge/Hotel/Pension zu der ebennächsten transportieren lassen, eine gewisse örtlich Flexibilität ist damit nicht mehr vorhanden)

- Gruppenpilger (hier ist alles durchorganisiert, Rucksacktransport, teilweise beste Hotels der Stadt, der Jakobsweg ein Happening)

- noch so einer undefinierbare Untergruppe, die morgens ohne Rucksack losläuft und wenn der Weg dann doch zu schwer scheint, ein Taxi zur bereits gebuchten Unterkunft nehmen.

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Diese Aufzählung hat natürlich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Wer hier noch empirische Anmerkungen hat, gern mitteilen.

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Warum die Aufzählung? Weil es durchaus wichtig sein kann in welcher Herberge man übernachtet. Genießt man zum Beispiel gerade die Gemeinschaft der Pilger und freut sich schon auf ein gemeinsames Nudelessen am Abend mit gemeinsam eingekauften Zutaten und rennt dann in die falsche Herberge rein, kann es sein, man steht einer Armada an Hartschalenkoffern gegenüber, die Herbergen haben keine Küche und ist man in ebensolchen Unterkünften, dann spielt sich das Leben nach der Tagesetappe nicht in den teilweise urigen Gemeinschafträumen ab und kann daher keine Dynamik entfalten. Das werden dann eher ruhige Tage, was auch sehr gut sein kann, manchmal sogar gewollt.

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Unsere Herberge in Legidos war eine Mischung, eine schöne Mischung. Sehr geräumig, ein toller Innenhof, Pool, Wäscheplatz, Chillwiese und Apfelbäume hinter dem Haus. Das Essen war trotz der typischen Pilgerfragen, die nicht ausbleiben wollen, wenn man gemeinsam zu Abend isst, lecker und kurzweilig. Wir gingen dementsprechend frühzeitig und sehr gut gestärkt ins Bett. Morgen sollte es etwas regnen, was ja nach den Sonnentagen auch mal eine tolle Abwechslung sein kann. Sein kann...

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Nachtrag zum 18. Tag - Irgendwo im Nirgendwo in Mexiko

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Nachmal fühlen sich Situationen für verschiedene Menschen, völlig verschieden an. Das hängt auch damit zusammen, was man so am Tag erlebt hat. Hierzu hatten wir ja bereits etwas geschreiben, aber alle Bilder unterschlagen. Daher hier erstmal eine kleine Abfolge an bildhaften Eindrücken vom Weg. Schreiben erledigen wir übrigens gerade vom Plaza in Leon, wo wir einen Ruhetag einlegen. Gerade ist die Messe in der Kathetrale vorbei und ein Haufen Menschen strömen auf dem Platz. Zudem macht uns die Sonne gerade den bis jetzt noch Schattenplatz streitig, sodass wir wohl gleich umziehen werden. Aber wie versprochen hier zunächst die Bilder:

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Jetzt aber zu der einen Situation aus zwei Perspektiven. Wie schon geschrieben, in einer kleinen Bar sitzen verschiedene Menschen um einen Tisch herum, wobei vor allem der Spanier, der laut arienartige Töne von sich gibt und der grimmig einherschauende Gitarrenspieler auffallen. In der Mitte sitzt ein Mann im besten Alter (also so um die 60 herum) der uns mit einer etwas feudalen Handbewegung an den Tisch bittet und Chri auch gleich ein großes Bier rüberschiebt. Zudem werden wir eingeladen einige Tapas, Chorizo und Weintrauben, zu uns zu nehmen. Nach dem gerade eingepackten T-Bone-Steak ist schon das eine gewisse Überforderung. Komisch wirkt, dass hier nicht nur eine Gitarre rumsteht, sondern noch um die drei Gitarrenkoffer. Spätestens wer die Bücher von Karsten Dusse gelesen hat weiß, dass sich in so einem Gitarrenkoffer auch eine Waffe über den Jakobsweg transportieren kann. Es hat schon einen komischen Humor, wenn man im Hinterkopf hat, dass auf die Frage "Are you carrying a guitar?" die Chri immer mal wieder gestellt wird, nach Dusse auch mit einem "No it is a shotgun." antworten könnte. Der Ami, bei dem das Christian einmal eher aus Reflex getan hat, schaute zumindest kurzzeitig etwas entgeistert. 

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Die Szene geht weiter. Chri wird eingeladen Gitarre zu spielen (was er natürlich in seiner leicht exzentrischen Art zum Anlass nimmer, den Arien-Spanier im Rumgeschreie übertreffen zu wollen), der Mann im besten Alter, der schon eine gewisse Aura eines Mafia-Paten hat, gibt sich typisch amerikanisch aussehender Mexikaner zu erkennen, die Bauchschmerzen von der Matschreis-Speise drücken, die Weintrauben machen es gerade nicht besser, die Asiatischen Touristen, bei denen nicht wirklich zu erkennen ist, ob sie als Pilger oder in anderer Mission unterwegs sind und zu guter Letzt eine deutsche Touristin, die sich unter die Menge gemischt hat und Melli weitere Trauben anbietet nur um im gleichen Atemzug zu erzählen, dass sie heute positiv auf Covid getestet wurde. Irgendwann ist auch einmal Schluss, irgendwie gruselig und ein Grund, den vorher schon gedanklich geprägten Weg zur wirklich tollen Herberge wieder aufzunehmen. Melli ist raus und ab zur Herberge, die ja auch um 22 Uhr schließt. Aus dieser komisch unangenehmen Situation kann man auch mal rausgehen. Chri wird schon nachkommen, er ist ja eh gerade mit "Singen" beschäftigt.

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Aus der Sicht von Chri muss sich die Szene wohl etwas anders dargestellt haben. Klar, komisch war, dass der Typ an der Gitarre so spanische Musik spielte, wo doch die normalen Pilger so etwas (und schon gar nicht in der Qualität, die zu hören war) nicht konnten und auch die asiatischen Pilger mehrfach Klassiker wie "Hotel California" und "House of the rising sun" anforderten. Beides natürlich im Repertoir eines passionierten Lagerfeuer-Chansoniers wie Chri. Also Schubladen auf, wenn sich der Mensch in ungewohnten Situation und mit neuen Menschen zurechtfinden muss, dann helfen gedankliche Schubladen. Der Gitarrenspieler musste also ein Spanier sein, der natürlich den Arien-Sänger-Spanier in seinem Element erwischt hatte. Die Szene sollte zudem strategisch eine gewisse Anpassung an den allgemeinen Musikwunsch erfahren, sonst sind die Asiaten weg.

 

Chri legte also los und zu seiner Verwunderung hatte auch schnell einer der Chinesen (die genaue Herkunft hatte sich im Gespräch mit der typischen Pilgerfrage "Where are you from?", zu den Pilgerfragen später mehr) eine Gitarre in der Hand und der spielte auch leicht spanisch. Eine perfekte Gelegenheit die Lautstärke runterzuschrauben und einen der Chinesen zu einem Solo einzuladen. Irre, besser hatte es Chri noch nie gehört. So langsam aber sicher dämmerte ihm, dass er es nicht mit Amateuren zu tun hatte. Ganz im Gegenteil, hier war er in etwas hineingeraten, was seine musikalischen Fähigkeiten bei weitem übertreffen sollte.

 

Am Ende klärte sich die Szene auf, hier war ein Meister seines Faches mit seinen Schülern unterwegs. Nach 15 Minuten Smalltalk hatte Chri auch raus, wer hier der Meister war, nix anderes als ein Professor, der in China spanische Gitarre lehrt zusammen mit seinen Schülern aus China und einem norwegischem Gitarrenlehrer, der ebenfalls zur Gruppe gehörte. Letzterer war der Typ der ganz am Anfang die spanische Gitarre so vorzüglich spielte und von dem Spanier niedergeschrieen ... ähhhh ... gesungen wurde. Der Mexikaner war einfach nur ein Musikkenner, der sich die Szene für ein Privatkonzert auf höchsten Niveau zu Nutze gemacht hatte. Schlauer Typ.

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Mist, die Herberge schloss um 22 Uhr und wer nicht vorher auf dem Gelände ist (auch hier sind die Spanier pünktlich) muss draußen bleiben, also genau noch ein Lied angestimmt, alles wie geschmiert eingepackt und Beine in der Hand und ab zur Herberge. Den Kommentar des Mexikaners, ob Christian überhaupt wisse, wo ich heute Nacht schlafen werde, (er hatte ihn wohl spätestens als Melli gegangen war, als obdachlosen Herumtreber identifiziert) hat Chri lächelnd ignoriert. So langsam wird es musikalisch.

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19.09.2023 - 18. Tag

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Fromista - Carrion de los Contes

Überraschungen passieren

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Der Tag heute war von den paar Kilometern (23 km) her, nicht lang. Jedoch von unserer Angewohnheit langsam zu gehen und in nahezu jeden Nest am Weg einen Kaffee (manchmal Cola, später „una cervesa grande por favor“) zu trinken wurde der Weg auch nicht kürzer sondern zeitlich sogar länger. So kamen wir dann irgendwann im letzten Ort vor der gefürchteten 15-km-gerade-aus-Etappe zwischen Carrion de los Condes und Caldazilla de la Cueza an. Weiterlaufen war keine Option, also Herberge suchen, ein kurzer Blick auf einer bekannten Online-Buchungsseite hatte eher schlechte Optionen ausgeworfen. Einen Platz zum Schlafen zu bekommen war kein Problem, wir liefen vor aus unserer Sicht einer der ersten Herbergen einer Einheimischen in die Arme, die wild gestikulierend immer lauter und kreischender uns versuchte darauf hinzuweisen, dass hier die letzte Herberge im Ort ist und es noch weitere hinter uns gab. Ein Pilger übersetzte anschließend die Konversation, sodass zumindest der Weg zum Bett beschrieben und auch noch verstanden war. Wir fanden eine der ganz großen super professionell geführten Herbergen in christlicher Trägerschaft in der wir im Saal Amerika mit rd. 15 Betten unterkamen.

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Ein Spaziergang durch die Stadt und ein anschließendes kleines Essen (T-Bone-Steak und irgendwas mit gematschtem Reis an Schalentier) rundete unseren Tag ab. Nach so einem langen Tag sehnt man sich eigentlich nur noch nach dem Bett und Ruhe, Ruhe und Ruhe. Warum Christian als er durch die halbe Altstadt ging um seine Jacke zu holen, die Gitarre mitgebracht hatte, wusste keiner von uns Beiden noch. Nur noch in unser „Zuhause für heute“ und pennen. Auf dem Weg fragte noch ein Pilger ob Christian denn noch spiele. Aus voller Überzeugung kam ein „heute nicht mehr, vielleicht in Reliegos.“ über Chris Lippen.

 

Szenenwechsel, 200 Meter weiter.

 

Ein Spanier schmettert (manche würden es schreien nennen) aus voller Inbrunst ein Lied. Der konnte singen, keine Frage. Vor ihm ein mürrisch einher schauender Mann mit einer Gitarre und ein Haufen asiatischer Touristen drum herum, die die Szene beobachten. Die Szene fühlte sich fast nicht mehr spanisch an, sondern die ganze Umgebung, diese sengende Hitze, die nach Sonnenuntergang so langsam aus den dicken Häuserwänden ausgeschwitzt wird und die Straße auf ein sehr angenehm wohliges Temperaturniveau aufheizt, erinnerte an Mexiko. Irgendwo im Nirgendwo in Mexiko.

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Was weiter passierte gibt es in einem Nachtrag.

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18.09.2023 - 17. Tag

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Itero de la Vega - Fromista

Wer rastet der rostet.

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Als der Franzose das Zimmer verließ, haben wir natürlich erst einmal das Fenster aufgerissen und uns noch drei Mal im Bett umgedreht, bevor wir uns zum Frühstück aufgerafften. Ganz entspannt - heute werden es nur 15 km, also keine Hektik. Das Frühstück war so reichhaltig, davon kann man 15 km zehren. Der Kaffe war jedoch bereits leer, was auch die herzlichen Bemühungen des Hospiliero (er hatte unter jede Tasse einen kleinen Zettel mit den Vornamen der Pilger gelegt) uns einen guten Start in den Tag zu ermöglichen, zu Nichte machte. Den Kaffee bestimmt der Franzose runtergeschüttet, weil Melli in mit ihrer Husterei den Schlaf geraubt hatte oder wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Aber weil wir solchen negativen Glaubenssätze im Allgemeinen nicht trauen, wählen wir Ersteres. Und außerdem hatten wir so noch die Möglichkeit in der direkt neben der Herberge befindlichen Tachu-Bar einen Caffee con Leche zu trinken.

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Herausfordernd waren die nächsten 15 km in keiner Weise. Es war nettes, etwas windiges Wetter und der Weg ließ sich einigermaßen leicht ablaufen. Zwar sieht die Meseta von oben nahezu spiegelglatt aus, aus der Ameisenperspektive die wir als Fußreisende einnehmen, sind jedoch immer noch einzelne Anstiege so um die 20 Höhenmeter am Stück zu „bewältigen“. Wenn man sich an den ersten Tag erinnert, kann man über solche „Herausforderungen“ nur noch müde lächeln. Entsprechend gut war unsere Laune und die bereits gebuchte Unterkunft in Fromista trug auch dazu bei, dass der Tag einfach vorüberging.

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Und jetzt hätten wir doch fast vergessen noch zu erzählen, warum es die Sache mit dem Rosten in unseren Tagesspruch geschafft hat. Ganz einfach. Auf dem Weg trafen wir noch zwei um die 70jährige Pilger aus Österreich, die ein sehr gutes Tempo vorlegten. Daran sieht man, dass Bewegung dafür sorgt, dass die Knochen nicht einrosten. Von unserer Seite fühlte sich der Tag jedoch nach 15 km auch eher wie Rasten an, hoffentlich ohne langfristige Folgen.

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Was wir noch so machten? Gut Essen, diesen Blog (also die Etappe ein paar Tage zuvor) schreiben, Melli bekam ein Privatkonzert mit mal mehr mal weniger schmalzigen Liebesliedern. Kann man doch auch mal machen.

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17.09.2023 16. Tag

Hontanas - Itero de la Vega

"La utopia est la libertas de Nuestro Suenos"

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Seit zwei Uhr dreißig liegt Melli wach im Bett und wartet auf den Startschuß. Um vier Uhr ist es soweit, Chri bewegt sich und ab auf die Pilgerautobahn. Gut, dass Christian seinen Kocher mit hat. Schnell noch einen Kaffee gekocht, denn es sollen 10 km bis zur ersten Bar werden. Die ersten 10 km ging es einen schmalen Pfad entlang. Vor und hinter uns leuchteten die Stirnlampen. Heute sollen es 20 Kilometer werden, nicht mehr und nicht weniger. Wir wollen nach Itero de la Vega, dort hat Christian seinen ersten Camino begonnen. Eine Stärkung in der Bar führte dazu, dass wir diesen Weg quasi leichtfüßig überflogen. HALT! Da war doch was. Diesen richtig fetten Aufstieg hatte Melli nicht mehr eingeplant und bekam dementsprechend auch äußerst gute Laune. War doch gar nicht schlimm, nach so vielen Anstiegen schwebt der Körper quasi die Berge hoch. WOW!

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Auf dem Camino bekommt man genau das, was man braucht und genau so soll es dann auch kommen. In der Albergue angekommen, in der auch Christian damals seinen Schlafplatz gefunden hatte (Alberque "La Mochilla", der Rucksack, Itero de la Vega), haben wir ein Zimmer mit drei Betten bekommen. Weniger Schnarch-Geräusche (Detlef der Schnarchhai war eh schon über alle Berge, präzise gibt es keine Berge in der Meseta), da sollte man mal zur Ruhe kommen. Kurzzeitig sah es so aus, als ob man in einer der urigsten Herbergen am Camino ein Einzelzimmer bekommen hätte. Weit gefehlt. Ein Franzose wurde als Dritter in unser Zimmer einquartiert.

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Eine Warnung, jetzt kommt eine Warnung vor Franzosen, die man ebenso auf Spanier und Italiener übertragen kann. Kulturell ist es dort leider so, dass man es gewohnt ist, dass man bei geschlossenen Fenster schläft. Der Camino ist an dieser Stelle "Clash of the Nations". Hat man in einer Großraumschlaffabrik auf dem Camino einen der o.g. Menschen an einem Fenster schlafen, kann man davon ausgehen, dass man sich die ganze Nacht wie in einem U-Boot fühlt, in dem alle zum gleichen Zeitpunkt schlafen, es ist laut, es ist stickig und es stinkt. Scharmanter kann man es nicht ausdrücken. Hat man aber einen dieser seltenen Frischluftplätze am Fenster ergattert, hat man als Deutscher zumindest die Lufthoheit. Es kann zwar passieren, dass sich die Südländer beschweren und auch mal in der Nacht versuchen, über dich zu steigen, um das Fenster zu schließen, sobald man dann als Nordlicht aber wieder das beklemmende U-Boot-Gefühl verspürt, wacht man eh auf, lechtzt nach Luft und öffnet das Fenster. Und das Spiel beginnt von vorn.

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Bevor wir aber die die fatalen Auswirkungen der Anwesenheit eines Franzosen in unmittelbarer Nähe zum Fenster erfahren durften, klampfte sich Christian im Hinterhof schon einmal warm für die Meseta. Melli musste also ihre Meditation auf volle Pulle Lautstärke drehen, um noch einigermaßen das gewollte Ergebniss einer solchen Meditation spüren zu können.

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Gott sei Dank war der Franzose ein Frühaufsteher, das anhaltende Husten von Melli mag dazu beigetragen haben, und so hatten wir mitten in der Nacht auf einmal doch das avisierte Einzelzimmer. Selbst Schuld, wenn er die Fenster zulässt. Weiß doch jeder Idiot, dass man bei geschlossen Fenster nicht schlafen kann.

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16.09.2023 - 15. Tag

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Burgos - Hontanas

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Hoffentlich wird das keiner dieser Tage, die uns gestern einen Ruhetag eingebracht hatte. Eigentlich war ja der Plan noch Mittags an diesem Tag gewesen, durch Burgos in der früh durchzulaufen und in die Meseta zu laufen. Pustekuchen, nachdem wir die falsche Abbiegung gelaufen waren, waren alle "Weit-Weg-Vor-Der-Stadt-Gelüste" weg. Ja nicht bewegen sehr gut essen. Zu Burgos gibt es später noch einen kulinarischen Tip, immer wenn Christian von einem Steak Gänsehaut bekommt, sollten wir das Lokal teilen. Aber wie gesagt dazu später mehr in der Kategorie "Kraftorte".

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Also früh, noch ein bisschen wacklig auf den Beinen, die Fragen drücken. Werden wir es schaffen? Hat der Körper genug Ruhe bekommen, laufen wir jetzt ins nächste Desaster rein? Daher haben wir uns zum langsamen Hochfahren auch eine 32 km Etappe ausgesucht. Ausgesucht? Wirklich? Ja, so abgestumpft ist man nach zwei Wochen Camino Frances, gerade weil man weiß, dass der Weg sowohl vom Körpergefühl als auch vom eigentlichen Weg einfacher wird. Die ersten 20 km gingen dann auch durch wie geschnitten Brot.

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Der Weg lief jetzt über weite Ebenen und die Landschaft wird langsam eintöniger. Zwar versperrt der ein oder andere Berg noch den Blick ins weite Land, jedoch sind diese Berge nicht mehr so hoch, dass man oben angekommen, denkt man wäre ein ausgelaugter Ackergaul sondern sie leicht locker flockig auch mit Gepäck quasi überfliegt. Ganz oben auf einem dieser Anstiege trafen wir Martin, der im letzten Video schon in der Ferne zu sehen ist. Martin war ganz still, heimlich und leise aus dem Raum Flensburg hierher gelaufen. So wie wir vernahmen hatte er immerhin am Ende von Deutschland in Trier und auch am Ende von Frankreich in Saint-Jean-Pied-de-Port einen Ruhetag eingelegt. Verrückt.

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Sein Merinowolle-Shirt (ja die Dinger sind echt zu empfehlen!) war schon ganz zerfetzt aber Martin war guter Dinge und freute sich jetzt auch mal unter Menschen zu sein. Ab Le Pui en Valay war das wohl der Fall, vorher Pilgerwüste. Wir lernen also von Zuhause bis Le Pui Pilgerwüste, von Le Pui bis Saint-Jean (immerhin auch so um die 800 km, Pilgerlandstraße und sehr familiär und dann ab St.-Jean Pilgerautobahn, wie auch wir sie kennen lernen durften. Ganze 20 Pilger hatte er übrigens in der Pilgerwüste getroffen, hier ist man froh, wenn man mit weniger als 20 Leuten in einem Zimmer liegt.

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Martin treffen wir jetzt übrigens jeden Tag wieder, schließlich schreiben wir, wenn wir den Impuls dazu haben, jetzt gerade schreiben wir z.B. aus Fromista, ein paar Tage später. Keine Hast auf dem Camino oder wie unser Freund Daniel aus Leipzig sagen würde "Folge deinen Impulsen" und das klappt auf dem Camino ganz gut, wie wir finden.

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Wenn mir mein Nachbar oder irgend ein anderen Verrückter, der vorhat 900 km quer durch Spanien zu laufen erzählt hätte, dass er dabei eine Gitarre, ein Laptop, ein Studiomikrophon, Powerbank, ein Zelt, Schlafsack, fette Isomatte, Kocher und Geschirr und den üblichen Krimskrams, den man wirklich braucht (so um die 10 kg reichen eigentlich völlig) mit sich herumschleppen will, dem hätte ich einen Vogel gezeigt. Dumm Dumm Dumm Dumm Dumm, einfach nur so hohl. Aber wenn er das unbedingt machen will, na ja mehr als abraten kann man ihm ja wohl nicht. Nur, das ich in diesem Fall halt nicht der Zuhörer des Nachbars war. Seht selbst, was dann beim Abendessen passiert, aber schaut das Video nicht im Homeoffice in der Mittagspause die Dosenravioli schmecken dann komisch.

Eigentlich wollten wir gerade Schluss machen, aber eine merkwürdige Begebenheit haben wir noch zu erzählen. Kurz vor Hontanas, in dem wir später eine tolle Herberge bekommen sollen (mit kurzem Gitarrengeschrei nach dem Essen (das mit den Füßen)) stand auf der linken Seite in einem kleinen Tal eine Herberge an der wir aber, weil wir ein paar Meter machen wollen, vorbei gingen. Der Weg war dann doch etwas lang und auf der rechten Seite tat sich eine Unterkunftsmöglichkeit auf. Dort hätten wir mitten auf der Meseta auch gern im Zelt übernachtet, gern auch zum normalen Preis. Jedoch waren wir in der deutschesten aller spanischen Herbergen angekommen. Hier ist einfach alles verboten. Schon am Gartentor, es war mehr wie die angepasste Alternative zur Berliner Mauer, fehlten nur noch die Geschütze an beiden Seiten, stand ein Schild, dass darauf hinwies, dass der Verzehr von mitgebrachten Speisen verboten sei. Klar, in einem Restaurant verstehen wir das, aber in einer Herberge. Unsere Frage nach der Möglichkeit ein Zelt auf dem sehr weitläufigen Grundstück aufzustellen, wurde dann auch wie vorhersehbar war mit einem bestimmenden "Nein" abgelehnt. Solch unfreundliche Menschen. Komisch. Nicht euer Ernst, wtf. Als sich Christian gerade eine Zigarette anbrennen wollte, musste ich ihn zudem auf das Schild hinter ihm aufmerksam machen. Na, was stand da. Dreimal dürft ihr raten. Rauchen verboten. Komischerweise war es 3 Meter davon entfernt dann wieder erlaubt. Verstehe einer mal die Spanier.

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14.09.2023 - dreizehnter Tag

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Villafranca Montes de Oca - Burgos

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Heute lassen wir Bilder sprechen. Kurz die Fakten. Auf die Strecke zwischen Villafranca Montes de Oca und Burgos entfielen rd. 36 km. So weit wollten wir gar nicht laufen. Start 3:50 Uhr, Siesta ab rd. 6 Uhr, weiter viel zu spät rd. 10:45 Uhr, Sonne hat voll zugeschlagen, der Weg zog sich wie ein langgekauter Hubba-Bubba-Kaugummie, eine Baustelle sorgte dafür, dass wir nicht wie geplant den Weg zum Zeltplatz nahmen, am Ende Gewaltmarsch bis in die Innenstadt von Burgos, Ankunft 18:30 Uhr. Aua Aua Aua, Aua Aua Aua, Kein Bock mehr, Aua Aua Aua.

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15.09.2023 - vierzehnter Tag

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Burgos - Ruhetag

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Nach dem Ritt gestern, gibt es zu heute kaum mehr zu sagen als Aua, Aua, Aua, möglichst wenig laufen müssen, gutes essen und einfach mal die Seele baumeln lassen, die Pilgerautobahn darf erstmal vorbeiziehen. Das braucht der Körper auch mal.

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13.09.2023 - zwölfter Tag

 

Belorado - Villafranca Montes de Oca

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Wir bewegten uns schon ein paar Tage ohne es recht zu merken auf historischen interessantem Terrain. Der Strom der Pilger, den wir mittlerweile teils etwas scherzhaft, teils mit einem bitteren Beigeschmack "die Pilgerautobahn" nennen, zog den Oca Bergen entgegen. Nachdem der ununterbrochene Strom an Menschen mit teils größeren teils kleineren Rucksäcken die Pyrenäen und deren angrenzendes Vorland überwunden hatte, kam jetzt der letzte Bergkamm vor Eintritt in die unendlich öde spanische Zentralhochebene in Reichweite.

 

Um die Jahrtausendwende des vorvorigen Jahrtausends zählte diese Gegend zu den gefährlichsten Abschnitten des Jakobsweges in Spanien. Eng ist die Geschichte des Weges mit zwei mittlerweile heiliggesprochenen Personen verbunden. Dass beide für die Region eine immense Bedeutung hatten und haben kann man an den Ortsnamen Santo Domingo de la Calzada und San Juan de Ortega erahnen. Die Namen ebendieser Personen sind Teil des Ortsnamens oder im letzteren Fall sogar der gesamte Ortsname. San Juan de Ortega war ein Schüler des heiligen Domingo de Viloria und beide widmeten ihr Leben dem Jakobsweg. Beide erbauten Brücken, befestigten Straßen, Santo Domingo gründete ein Hospiz und betreute selbst kranke Pilger. Sein Schüler der mittlerweile ebenfalls heiliggesprochen wurde eröffnete gegen den Widerstand der Oca-Banditen eine Pilgerherberge. Beide trugen so dazu bei, dass auch im finsteren Mittelalter der Weg nach Santiago ein bisschen weniger lebensgefährlich wurde.

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Von den Gefahren des Weges ist mittlerweile kaum noch etwas zu spüren. Der Weg ist bestens ausgeschildert, sodass man ihn auch nachts und ohne besondere Ortskenntnisse oder Technik gehen kann. Im Zeitalter von Google Maps kann man sich z.B. mitten in der Nacht per Satellitenbild mögliche Plätze, an denen man sein Zelt aufschlagen könnte, anzeigen lassen. An Einkehrmöglichkeiten, Herbergen, 24 h-Verpflegungsautomaten und sonstigen Annehmlichkeiten, die zum normalen Vergnügungsanspruch eines Westlers zählen, gibt es keinen Mangel.

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Eine kleine Gefahr ist uns von früher dann aber doch geblieben, die fehlerhafte Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Um das zu umgehen, bietet es sich an, die einzelnen Etappen und die entsprechenden Distanzen zwischen den Herbergen und Ortschaften mit Einkehrmöglichkeiten im Auge zu behalten. Und durch die Oca-Berge gab es tatsächlich eine Etappe, die mit 12 km durch den Wald, keinen Ortschaften und Herbergen, nicht gerade zur falschen Zeit erreicht werden sollten. Als Abschluss eines schon 25 km Tages und dem richtigen Wetter (wir erinnern uns an den ersten Tag) kann so eine Strecke einem schon gehörig auf den Wecker gehen. Um das zu umgehen und weil wir beide eh das Gefühl hatten, heute eher mal einen halbruhigen Tag machen zu wollen, entschieden wir uns mit Villafranca Montes de Oca für den letzten "Absprungplatz" vor der einsamen Wanderetappe. Gesagt, getan, Herberge angerufen, Zimmer vorgebucht. Das Unterangebot an Zimmern hat sich übrigens nach unserer Wahrnehmung deutlich verbessert, entweder sind die Betten mehr oder auch die Pilger weniger geworden - who knows.

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Wir landeten in einem wirklich feinen Hotel mit angeschlossener Pilgerherberge. Eine große Wiese lud zum chillen ein, eine Bar versorgte uns mit Kaltgetränken. Wenn einem nicht so furchtbar die Knochen weh tun würden, würde man meinen man wäre im Urlaub.

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12.09.2023 - 11. Tag

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Santo Domingo de la Calzada - Belarodo

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Um fünf Uhr früh fingen die Italiener und Franzosen raschelnt mit Gewühl ihre sieben Sachen zusammen zu packen. Die Herberge in der wir nächtigten, war mit rd. 180 Betten sehr großzügig. Eine sehr schöne Herberge viel Platz zum Verweilen, Wäsche waschen, essen und schlafen. Was man als Pilger halt so macht.

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Was übrigends gestern Abend noch passierte: Natürlich trafen wir auch wieder auf Detlef und Brandon, die sich an einem großen Tisch eine ausgiebige, so nannte es der Preuße, Zwischenmahlzeit gönnten. Detlef hatte sich fest vorgenommen eine Bolognese für uns Alle zu kochen. Leider waren die Kochplatten abgeklebt, es gab lediglich eine Mikrowelle. Nur blöd das er Mirkowellenessen verabscheut. Am Abend fanden wir uns dann zu einem gemeinsamen Abendessen zusammen. Bilder sagen doch mehr als Worte, daher:

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Aber zurück zum Tag. Es ging wieder ziemlich früh los. Das liegt aber in erster Linie an den speziellen Gegebenheiten der Gemeinschaftunterkünfte, wo irgendjemand immer um 5 Uhr irgendwas anfängt, im Rucksack zu kramen und spätestens 6 Uhr irgendjemand anders für alle entscheidet, dass die Nacht jetzt vorbei sein möge in dem das Licht angeschaltet wird. Auch wenn schon so in diesen Räumen ohne Ohrenstöpsel nicht an Schlafen zu denken ist, spätestens dann ist die Ruhe entgültig vorbei.

 

Normalerweise sind wir als Deutsche ja durchaus (und ganz speziell bei solchen andachtsvollen Betätigungen wie dem Pilgern) darauf bedacht, möglichst niemanden zu stören. So macht man sich schon am Tag vorher beim Zubettgehen intensive Gedanken darüber, wie man die Schnarchhöhle früh möglichst schnell und geräuschlos verlassen kann. Der Rucksack steht fertig gepackt in der Ecke, im Fußraum des Schlafsackes ist alles verstaut, was sonst gern einmal hinter das Bett fällt (und in Folge dessen vergessen wird) und die richtigen Profis achten auch noch darauf, dass der Weg zwischen dem eigenen Bett und der Tür möglichst kurz ist. Übrigens beißt sich Letzteres manchmal mit der Notwendigkeit Fensterplätze zu besetzen, gerade wenn man mit Italienern oder Spaniern im Zimmer liegt, aber dazu später.

 

Noch ein Einschub für das eigene Gewissen. In diesem Jahr sind wir schon weggekommen vom Versuch, möglichst alles zu tun, um niemanden zu stören. Grund ist, dass bei genauerer Betrachtung in solchen Pilgerherbergen eh niemand zum Schlafen kommt, es sei denn, er bedient sich spezieller Hilfsmitteln wie Ohrenstöpsel. Es hat also jeder selbst in der Hand dafür zu sorgen, dass er schlafen kann und wer ohne die kleinen Helferlein im Ohr dort ist, wird weder am Nachmittag noch in der Nacht zum Schlafen kommen, egal wie rücksichtsvoll sich der einzelne Pilger benimmt. Und um hier jeden zukünftigen Pilger einen Tipp zu geben, nehmt euch Zeit zum Ausprobieren dieser Ohrenstöpsel. Es gibt welche aus einem schaumstoffartigen Material welches sich aber nachts dadurch auszeichnet, dass es auf die Innenohrwand einen gewissen Druck ausgeübt. Wer das nicht ab kann, für den sind solche Ohrenstöpsel ein nachhaltiger Grund für schlaflose Nächte. Andere Ohrstöpsel sind eher wie Wachs, plustern sich nicht nachträglich auf und drücken daher beim Schlafen kaum. Aber auch die mag nicht jeder, den auch diese Stöpsel sind gewöhnungsbedürftig. Wer stopft sich schon gern eine Kerze ins Ohr.

 

Wie gesagt, es lag an den Gegebenheiten im Schlafsaal, aber auch der Körper könnte schon langsam mal etwas Ruhe brauchen. Nur weil man jetzt in Spanien ein paar Tage hintereinander deutlich mehr gelaufen ist, als der Durchschnittsbürger in einer Woche läuft, hat man ja (noch ;-) ) keine Superkräfte entwickelt. Klar starten wir nicht bei null und den ein oder anderen Anfängerfehler (z.B. nicht genug dehnen, zu wenig Wasser zu sich nehmen, nicht penibelst auf den Füße achten) haben wir uns schon auf unseren bisherigen Wegen schmerzlich abgewöhnt, aber auch bei uns merkt man langsam, dass der Körper irgendwann einmal eine Pause brauchen wird. Und auch die ursprüngliche Idee von Chri das erst in Leon zu machen, erscheint zunehmend unrealistisch.

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Der Weg war in erster Linie von viel viel Sonne geprägt. Ein munteres auf und ab des Weges, der sich an diesem Tag aus der Region La Rioja in die Region Castilla y León zog. Insgesamt werden die Weinberge und Olivenhaine deutlich weniger und an die Stelle der doch schönen Weinreben kommen abgeerntete Weizenfelder und Sonnenblumenfelder. Gerade letztere haben viel von einem erstklassischen Horrorfilm. Die Sonnenblumen sind nämlichst längst verwelkt und stehen noch wie die Untoten auf den Feldern, damit sie trocknen und dann geerntet werden können. Die hängenden Köpfe der Sonnenblumen, die dort in Reih und Glied stehen, können schon echt gespenstig sein. Jedoch machen sich offensichtlich einige Pilger den Spass die Sonnenblumenleichen auch noch mit Smileygesichern auszustatten in dem die Sonnenblumeköpfe an den entsprechenden Stellen bearbeitet werden. Weniger gespenstisch wird es dadurch im Übrigen nicht.

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Am Ende des Tages standen entspannte 22 km auf der Uhr, die jedoch aufgrund der Sonne und aufgrund der mittlerweile mesetaartigen Landschaft trotzdem ganz anstrengend waren. Als in Belorado schnell in die erste Herberge und den Tag mit Brandon und Detlef, zwei drei Bier und vielen netten Geprächen ausklingen lassen.

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11.09.2023 - zehnter Tag

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Najera - Santo Domingo de la Calzada

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Trotz des konfortablen Einzelzimmers welches wir in Najera hatten waren wir früh auf den Beinen. Schon am Tag vorher waren wir trotz der 30 k (coole Pilgerabkürzung für 30 km, klingt auf Englisch besser) gar nicht zur Ruhe gekommen und noch so um die 5 km durch die Stadt gestromert. So war es nur logisch, dass der Körper bereits sehr früh langsam aufwacht und nach mehr "k" lechtzt. Also früh los mit der Idee gleich was in der Stadt zu essen, schließlich konnten wir uns mit "nur" 22,2 km vor der Brust, mehr sollten es heute nicht sein, easy peasy, das Vertrödeln von Zeit gut leisten. Ab zur nächsten Bar und den berühmten Caffee con Leche und eine Reihe von Kleinigkeiten bestellt und ab auf die Straße. Durch den immer noch verschlafenen Ort ging es in langsamen Schritten vorwärts, man gewöhnt sich schnell diesen schwankenden Seefahrer-Schritt an, der sich auch dann einstellt, wenn man schwer bepackt seit nunmehr mehr als einer Woche unterwegs ist. So jetzt wollen wir aber mal so richtig angeben: 246,6 km bis jetzt. "Passt" könnte man sagen. Läuft:

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Unterwegs ging es meist durch Weinberge sanft bergauf und bergab. So langsam waren die Vorwirkungen der Meseta, der sagenumwobenen spanischen Hochebene, eine Mischung aus karger Landschaft und Quentin-Terantino-Feeling in den Dörfern, schon zu merken. Die Wege wurden länger, mit Wegen war in diesem Fall die schnurgerade Wegführung gemeint, bei der man manchmal schon sehen kann, wo man sich in 3 Stunden wie eine Ameise in der Wüste langsam fortbewegen wird. So lange es dunkel ist, purzeln die Kilometer, aber sobald die unbarmberzige Sonne kommt, sinkt die Motivation zunächst an einen Tiefpunkt, an dem man einfach nicht mehr laufen kann, und dann noch tiefer zu ehrlicher Wut über den Umstand, dass man sich wie eine Ameise in der Wüste fühlt, die aus dieser Scheißwüste nur raus will. Also "Ultreia"!

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Rückblick auf Gestern: Am Weg überraschte uns dann noch unser Freund Gunter aus unserem Heimatdorf mit einem Gitarrenständchen. Spass. Es war eine dieser typischen Camino Momente, ewig musste man sich einen Berg hochschrauben, was bei der Sonne schon eine ordentliche Herausforderung darstellt, immer wieder denkt man, der Weg neige sich dem höchsten Punkt zu nur um dann doch wieder eines besseren belehrt zu werden. Hinter jeder vermeintlichen Bergkuppe tat sich eine weitere Steigerung auf, man merkte auch an dieser Stelle, dass wir doch bloß wie Ameisen auf diesem blauen Planeten sind. Aber zurück zu Gunter, ein Typ graue Haare, schwarzer Hut, Mundi im Mund und Gitarre auf dem Bein, so saß er da und spielte "Hey hey my my" von Neil Young. Was passierte könnt ihr hier nachhören.

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10.09.2023 - 9. Tag

Logrono - Najera

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Wer sich von unseren eifrigen Bloglesern an das letzte Bild erinnert, kann sich vorstellen, dass sie Nacht schnell zu Ende war. Dazu trug auch ein eine Art Fest bei, dass an diesem Tag stattfand. Als wir früh noch weit vor dem Sonnenaufgang aus der Stadt stapften, trafen wir noch auf eine Reihe sichtlich betrunkener Spanier.

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Gegen halb neun hatten wir die erste Bar erreicht und natürlich liefen uns zunächst Brandon und dann Detlef über den Weg, die gerade aus ihren Schlafkojen gekrochen  waren. Detlef kam 30 Minuten später, weil er mutmaßlich noch sein ausreichendes Repertoir an Hautpflegeprodukten auftragen musste, so zumindest unsere Vermutung, schließlich kennen wir sonst niemand der 500 ml Mundspülung mit auf den Camino nimmt.

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Am Ende des Tages ist der Camino unterwegs am besten als langes Gelatsche zu beschreiben. Unendlich lange macht man immer das Gleiche, man setzt einen Fuß vor den anderen. Das Einzige, was vom Laufen ablenkt ist das Zwicken im Rücken, ein schlecht sitzender Rucksack, Blasen an den Füßen und irre Italiener, die sich in einer Lautstärke unterhalten können, sodass man nicht auf die Idee käme in the fucking mille of nowhere zu sein, sondern in Venedig auf einem belebten Plaza. Auch so irre Spanier, irre Franzosen, einen Haufen irrer Australier (jede Menge hier, seit man die rausgelassen hat, überschwemmen die den Camino), US-Amerikaner, Kanadier, kaum Deutsche. Und um es euch ganz deutlich zu sagen. Wir sind froh drüber. Kein Gequatsche über Politik ist z.B. ein riesiger Vorteil hier. Langsam nervt die Krisen-Dauerbeschallung mal.

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Am Ende der heute angestebten Strecke standen zwei Betten in einem Neun-Bett-Zimmer, für die sich der Hospiliero schon fast entschuldigt hat, eigene Toilette, keine anderen Pilger gebucht, es war perfekt. Dazu beste Aussicht auf wirklich faszinierende Höhlenwohnungen, eine Erkundungsaufgabe für das nächste Mal hier.

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Der Tagesablauf des normalen Pilgers, der entweder die 30 km puschen will, oder aber erschöpft vom Vortag erst spät gestartet ist, ist nicht kompatibel mit dem Tagesablauf des Spaniers. Irgendwie scheint es bis 15 Uhr (wer 15 Uhr in der Kneipe sitzt wird noch bedient, der Rest "We are closed") noch Essen zu geben, und dann manchmal erst von 21: 30 Uhr bis 22 Uhr. Wir saßen so genau noch zum richtigen Zeitpunkt und "genossen" ein Essen (so gut war es wirklich nicht) aber wir hatten Hunger und auf dem Camino kommt es manchmal nur auf die pure Aufnahme von Kalorien an. Meist ist es so, dass ein Essen um 16 Uhr nur bis etwa 20 Uhr vorhält, so sehr brennt der Körper noch nach und schreit daher nach Energie. Zwei Pilger waren nicht so glücklich mit der Zeitwahl und kamen 15 Minuten (also in Deutschland ct, kein Problem) zu spät, an der Stelle haben es die Spanier auf einmal mit der Pünktlichkeit (geradezu vorbildlich deutsch) und bekamen nichts mehr zu essen. Melli hatte spontan den Einfall, den beiden unsere bereits eingepackten Pizza-Reste anzubieten. Der Nachmittag war für die zwei sicherlich gerettet und sie bedanken sich mit einem breiten Camino-Smile.

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VIVA LA VIE - MELLI & CHRI

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Nachtrag und Verweis, 09.09.2023 immer noch in Logono

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Wenn man seinen Laptop um 13 Uhr rum in der Warteschlange vor der Herberge auspackt, man kann ja nicht weg, nicht dass der Rucksack die Schlange nach hinter wandert, hat man ein Problem. Eine gute Berichterstattung ist nicht mehr zu bewerkstelligen, weil naturgemäß der Tag nicht im Vollen beschrieben werden kann.

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Kurz nach der Laptoppause, oder um ganz präzise zu sein, dabei, zeigte der Camino seine ersten Zufälle. Hahaha Zufälle, Zufälle gibt es nicht. Die Mitpilgerin neben uns, sie pilgerte mit ihrem Mann ihren 20en Camino (wtf!) erzählte davon, wie sie am Tag eins in Roncesvalles ihre Vorräte an Cosmetika auffüllen konnte, da hatte doch jemand offensichtlich eine Waschtasche vergessen, augenscheinlich hochwertige Produkte, schön, wenn man so etwas in der spanischen Einöde findet. Auch die Bambuszahnbürste...... wtf, Bambuszahnbürste? da klingelte doch was bei uns. Ingeborg hatte Mellis Schätze gefunden und schenkte sie am Abend nach einen extrem langwierigen Linsen-Salat-Brot-Abendbrot zurück. Die langwierigen Ausführungen des Hospilieros, das sind freiwillige Helfer in Herbergen, die sich um die Pilger kümmern, zur Bedeutung des Pilgerspruches "Ultreia et Suseia" ersparen wir euch an der Stelle. Auf den Punkt gebracht heist das banaler oder bewusst unbanalerweise "Gehe und Wachse".

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Neben einer tollen Stadtbesichtigung, nach dem Camino noch sinnlos von A nach B wandern um dann auch nur nicht das kaufen zu können, was man will, weil die Öffnungszeiten in spanischen Städten, wie drücke ich das jetzt möglichst charmant aus, verbesserungsfähig sind. Eh sind wir Nordlichter die einzigen Verrückten, die so klar nach der Uhr leben. Das hat wohl kulturhistorische Hintergründe, wer bei uns nicht für den Winter bunkert, hat im Winter halt nix zu fressen, was wohl wiederum einen gewissen Fetischismus, was Pünktlichkeit angeht, nach sich zieht. Nur als Akademiker ist es in Deutschland ausnahmsweise mal erlaubt 15 Minuten zu spät zu kommen,ct und st kennt vielleicht der ein oder andere. Bei den Spaniern, allgemein bei den Südeuropäern ist Pünktlichkeit nicht ganz so wichtig. Am Geschäft stand eindeutig, dass ab 17 Uhr der Laden wieder auf hat, aber weit gefehlt, heute war das wohl nicht der Fall, auch daran muss man sich als perfektionistischer Nordmensch gewöhnen können.

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Die Herberge sah in etwa so aus:

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09.09.2023 - achter Tag

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Viana - Logrono

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Heute war ein kurzer aber sehr schöner Wandertag. Der Weg war flach und schlängelte sich durch Weinberge. Weil wir das genau so geplant haben, hatten wir ganz entspannt ein Frühstück im Hotel und machten uns erst gegen 10 Uhr auf dem Weg. Am Ende waren wir schon gegen 12:30 Uhr in Logrono, eines etwas größeren Stadt auf dem Weg. Rein in die Stadt und erste Aufgabe: Herberge suchen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen ab zu einer christilichen Herberge. Der Zettel mit den Herbergen sagte, dass dort 42 Matratzenplätze vorhanden seien. Vor der Herberge eine lange Schlange von Rucksächen und erschöpften Pilgern, weil die Herberge erst 14 Uhr aufmachte. Sollten wir uns wirklich dort anstellen? Ohne Reservierung? Ergibt das Sinn? Hier mehreren Stunden rumhängen, um dann auch nur keinen Platz zu bekommen? Eine Befragung der wartenden Pilger ergab Abweichendes. Christliche Herbergen machen im Allgemeinen den Quark mit den Reservierungen nicht mit, wer zuerste kommt mahlt zuerst. Möglicherweise ist das eine wichtige Erkenntnis für den weiteren Weg.

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08.09.2023 siebender Tag

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Villamayor de Manjarin - Viana

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Am Ende des Tages sitzen wir beide mit schmerzenden Beinen vor einem typischen spanischen Restaurant in der kleinen Stadt Viana kurz vor Logrono und warten auf unser Essen. Hier gibt es Essen zwischen 21 und 22:30 Uhr, eine etwas unpassende Zeit für Pilger, die ausgelaugt vom anstrengenden Tag und in freudiger Erwartung auf den nächsten Tag eher etwas eher essen und noch eher ins Bett wollen. Aber der Reihe nach.

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Der Tag begann früh, sehr früh. Bereits um drei Uhr paar Zerhackte entschlossen wir uns der Nacht ein abruptes Ende zu bescheren. Um 3:23 Uhr saßen wir bereits vor der Herberg und machten unsere Rucksäcke, die wir in weiser Erwartung schon am Abend vorher ins Gemeinschaftszimmer der Unterkunft geräumt hatten, startklar. Die Nacht war angenehm temperiert und draußen hörte man von weit her den dröhnenden Bass irgendeiner Party, die uns noch ein paar Stunden auf dem Weg begleiten sollte.

Ach so, hatte ich ganz vergessen, heute sollte der Kilometerzähler bei über 30 km stehenbleiben. Aber immer der Reihe nach. Ohne die demotivierende Sonne, kamen wir recht schnell voran, jedoch machte sich dann irgendwann doch der fehlende Schlaf und insbesondere das fehlende Frühstück bemerkbar. Um 8:30 Uhr waren die Körner alle, wie man so schön sagt. Die Sonne fing an zu ballern und wir schleppten uns irgendwie zwischen Kilometer 10 und Kilometer 15 so über den Weg. Mittlerweile war der Weg wieder voller Pilger und einige davon ringen einem unglaublichen Respekt ab. Menschen um die 70 Jahre alt, die mit schwerbepakten Rucksäcken in gefühltem Schneckentempo über den Weg schlurfen. Jeder Schritt bring uns dem Ziel näher, es ist wie im Leben: Fürchte dich nicht langsam zu gehen, du solltest nur nicht stehen bleiben.

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Irgendwann dann der spontane Einfall (na ja so spontan war er nicht, Melli war leicht am fluchen), Zelt aufgebaut, Isomatten aufgeblasen, Schlafsack ins Zelt, Rucksäche ins Vorzelt und erstmal entspannt ratzen. Wir fielen für rd. 3 Stunden in einen tiefen Schlaf und bei so manchem Pilger, der das Zelt sah, riefen wir doch einige Verwunderung hervor, das wurde uns bei einer Rast später so erzählt. Aber genau deswegen haben wir das Zelt und das sonstige Geraffel dabei. Wir wollen nicht abhängig von irgendeiner Herberge sein und uns den Weg durch äußere Umstände bestimmen lassen. So sind wir zum Beispiel auch so flexibel, mal einfach eine vorgezogene Siesta zu machen. Jeder läuft seinen Weg auf seine Weise, wir mögen es halt unseren spontanen Impulsen zu folgen, und sein sie, das Laufen einfach mal sein zu lassen.

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Danach lief der Tag trotz einem ziemlich hässlichen Sonnenbrand von Melli und einer durchaus anstrengenden Route ziemlich entspannt zu Ende. Gegen 17 Uhr hatten wir Viana erreicht, wo wir uns spontan ein Hotel genommen haben. Einen Platz in der Herberge zu bekommen ist gerade ausichtlos. Grund dafür ist, dass die meisten Pilger die Herbergen zwei Tage im Voraus reservieren. Nicht unser Ding, wir bleiben lieber spontan und um mit den Worten unseres Pilgerfreundes Daniel zu sprechen, wir folgen unseren Impulsen und haben auch vor, das weiter durchzuhalten, auch wenn das manchmal eine Nacht im Zelt notwendig macht, oder halt einen Mittagsschlaf.

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07.09.2023 - sechster Tag

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Estella - Villamayor de Manjardin

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Als verantwortungsvolle Pilger und angesichts der Erfahrtung, die wir am Tag zuvor mit der Mittagssonne gemacht hatten (Sonnen ist schon cool, zu viel davon wirkt sich jedoch bei gleichzeitigem etwas anspruchsvollem Sport negativ auf die Motivation aus) klingelte Mellis Wecker pünktlich um 5:07 Uhr. Packen, ja keine Socken vergessen und raus in die Nacht.

 

Wir waren aber bei weitem nicht die Einzigen. Wie eine Rotte von Bergsteigern, die sich aus irgendeiner Alpenvereinshütte aufbrechend, Gott weiß wie früh langsam gen Gipfel eines Viertausenders schlängeln, so war auch hier das Bild. Dutzende von Taschenlampen leuchteten den Weg für dutzende Pilger, die sich langsam bergan Richtung Villamayor de Monjardin ausmachten. Wer die Mittagssonne meiden will und gleichzeitig gut voran kommen möchte, macht hier sehr früh los. Der frühe Vogel fängt das nächste Herbergsbett, auch wenn das Rennen nach dem nächsten Schlafplatz aus unserer Sicht nicht essentiell ist, haben wir doch Zelt und Co. dabei, um uns genau diesem Pilgeransturm, der allen Überfluss noch dazu führt, das viele Pilger die Betten Tage im Vorraus schon hamstern, zu entgehen. Mittlerweile können wir auch sagen, dass das Drausen-Pennen funktioniert, in Puente de la Reina hatten wir ja in einem kleinen Stadtpark übernachtet.

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Heute war es jedoch anders, heute entschlossen wir uns ziemlich früh auf dem Weg heute mal einen kurzen Tag einzulegen und dem Körper Zeit zu geben sich zu erholen. So entschlossen wir uns in Villamayor de Monjardin einem kleinen Ort in wirklich einzigartiger Landschaft zu übernachten. Es waren zwar nur rd. 10 km, die wir zurückgelegt hatten und auch der berühmte Weinbrunnen kurz nach Estella, der wohl schon den ein oder anderen zu einer eher kurzen Etappe genötigt haben soll war nicht der Grund heute mal etwas langsamer voranzugehen. Auch freuen wir uns einfach mal etwas in die Pilgergemeinschaft einzuwachsen und in einer Herberge zu übernachten.

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Gesagt getan. Hier gibt es eine christliche Herberge, geführt von einer niederländischen Stiftung. Die Hospiliera schaute uns zwar etwas entgeistert an, als wir um noch nicht einmal 10 Uhr nach einem Bett fragten.

"Haben Sie eine Reservierung?"

"Nein."

"Wir haben noch genau zwei Betten frei. Glückwunsch, ihr habe für heute ein Bett."

Fluchs zeigte sie uns noch das Pilgerzimmer, in dem wir uns bin die Herberge um 14 Uhr offiziell aufmacht, aufhalten konnten. Ein uriger Raum mit Kaminofen und regionaltypischen niedrigen Holzbalkendecken erwartete uns. Nachdem wir aus den Wanderschuhen, die schon nach 10 km höllisch unangenehm sein können, raus waren und die Umgebung erkundeten, stellten wir fest, dass es bis zur nächsten Bar nur 50 Meter zu laufen ist.

 

Das Universum möchte offensichtlich, dass wir uns ausruhen und gegen das Universum kommen wir eh nicht an, also "Enjoy youself".

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06.09.2023 - fünfter Tag

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Puente de la Reina - Estella

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05.09.2023 - vierter Tag

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Pamplona - Puente de la Rena

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04.09.2023 - dritter Tag

Zubiri - Pamplona

Heute easy peasy nur bergab (sagte die Karte) und nur rd. 21 km (sagte die Karte). Aber die erste Herausforderung war es zunächst, früh aus der Pilgerhöhle (diesmal nur sieben Leute im Zimmer) rauszukommen. Normalerweise versucht man als Pilger möglichst geräuschlos früh aus dem Zimmer zu kommen, insbesondere wenn man, was sich gerade bei uns herausstellt ein sogenannter Nachtläufer ist. Als solche sollte man eigentlich sein Zeug am Vortag so gepackt haben, dass man mit wenigen Handgriffen möglicht geräuscharm aus dem Zimmer verschwunden ist, anziehen kann man sich meist in Gemeinsachaftsräumen oder sogar auf der Straße - alles besser als sich den Unmut der Mitpilger auszusetzen, weil man der Grund ist, dass sie nicht geschlafen haben und einen richtig müden Tag verbringen. Melli hatte jedoch schon die Mitpilger durch Schnarchen - wovon sie selbst aufwachte - und mehrmaliges Auf-Toilette-Humpeln gehen auf einen übermüdeten Tag eingestellt. Natürlich hatten wir auch - spassbedingt vom Vortag - nix richtig gepackt, sodass unser Abgang dann zumindest dafür sorgte, dass jeder der nicht über einen todesähnlichen Schlaf (oder gute Ohrstöpsel - also am Ende ist also jeder selbst schuld) verfügt wach war. Der Mitpilger an der Tür quittierte unser Gehen mit einem dankbaren Blick. Ist es nicht schön, jemanden schon so früh am Tag eine Freude zu machen.

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Fazit unserer Aktion - Christian hatte eine Socke weniger, die war in der "Schlaf"höhle geblieben.

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Meist an einem Fluss entlang schlängelte sich der Weg langsam Richtung Pamplona. Teilweise ging es auch am Rand des Weges ziemlich steil bergab. Empfehlung: nüchtern laufen und zumindest etwas Trittsicherheit mitbringen. Was uns aber ehrlicherweise immer noch in den Knochen steckt war der erste Tag, dieser miese Aufstieg der auf die untrainierten Muskeln immer noch mit schmerzhaften Nachwirkungen aufwartet. Zudem kommt jetzt die Zeit in dem der Körper merkt, dass ihm diese durchgeknallten Pilger diese Ochsentouren jetzt wohl jeden Tag auferlegen wollen. An dieser Stelle versucht der Körper dem Gehirn durch alle möglichen Wehwehchen mitzuteilen dass er nur eines will - das der Mist aufhört. Wenn alles gut geht, setzt sich das Gehirn durch. Durchbeisen, Schmerz ignorieren, langsam gehen und den Körper so langsam aber sicher auf sechs Wochen Hochleistung einzustellen.

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Eine Erkenntnis gabe es dann doch noch. Manchmal führt gerade ein Verlust zu ganz neuen Erkenntissen. In der Schnarchhöhle in Roncavalle war neben Handtüchern, Zahnbürsten und andern Luxusartikeln auch die Gesichtscreme geblieben. These: Gesichtscreme ist nur eine Erfindung der Industrie, die den Menschen einredet, solchen Quatsch gebrauchen zu können, gebraucht man es dann, kommt man nicht wieder davon weg - eigentlich ist es das Gleiche wie Zigaretten. Weil letztere doch noch gut schmecken, wollen wir wenigstens ab jetzt die Gesichtscreme sein lassen. In kleinen Schritten entwickelt sich der Mensch.

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03.09.2023:

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Roncesvalles - Zubiri

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Vieruhr dreißig, es geht los. Der zweite Tag auf dem Camino Frances soll mit uns gnädig sein. Wohoo der Camino hatte uns! 4:30 Uhr war so ungefär die Zeit in der man losmacht, wenn einem das urschreiartige Schnarchen von Detlef aus Berlin ;-) (vor dem uns der Mitpilger jedoch vorab gewarnt hatte) nicht schlafen lässt.

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Die ersten Kilometer dieser Etappe wurden wir oft an das Unwetter am Vortag erinnert. Christian musste früh im Schein der Stirnlampe sogar einige Baumstämme aus dem durch den Regen enstandenen Fluß, der im Normalfall den Weg darstellt, entfernen.

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Ein wunderbares Pilgerwetter begleitet uns den ganzen Weg durch die Phyrenän, die durch eine wunderschöne Ausdruckstarke Landschaft geprägt sind. Zwischen eines sanften Berglandschaft schlängelt sich der Weg durch verwunschene Wälder über steinig-schlickriches Terrain.

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13 Uhr hatten wir bereits ein mögliches Ziel erreicht und hatten ehrlicherweise keinen Bock mehr auf Latschen. Die Beine schwer, beide gesegnet von den ersten Blasen, die sich in den noch immer vom Vortag nassen Schuhen auf aufgeweichten Füßen zeigten. Gott sei Dank sind die aber noch nicht aufgegangen, sodass man sie mit Tape gut für den nächsten Tag vorbereiten kann. Hauptsache der Mist geht nicht auf, dann ist es die Hölle. Offensichtlich sind wir knapp an der Hölle vorbeigeschrammt - für irgendwas muss man ja auf dem Jakobsweg sein.

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Der wichtigste Muskel beim Wandern ist übrigens das Gehirn und ganz wichtig ist die Motivation. Die kann schon durch kleine Dinge arg ins Schwanken kommen. Kurz vor dem Ziel, man hat ja Zeit zum nachdenken, viel Melli auf, dass ihre Waschtasche und zwei Handtücher bei der Flucht aus der Schnarchhöhle dort verblieben waren. Kein Problem - schnell ein neues Shampoo gekauft - 500 ml. Flasche - weniger gab es nicht. Melli war mit dem Shampoo so zufrieden, dass das zusätzliche Gewicht gern in Kauf genommen wird - wer kann, der kann, Schacka.

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Es schloss sich ein feucht-fröhlicher Sonntagnachmittag mit politischen Gesprächen an. Verdammt das war doch eine der Dinge, die man lieber zu Hause gelassen hätte. Wir stellen fest, sobald sich Deutsche treffen, quatschen sie über Politik. Sobald man Australier trifft, kann das auch passieren. Weitere Gespräche über die hormonellen Auswirkungen auf das Fingerwachstum und ähnliche Dinge schlossen sich an.

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Weitere Erkenntnis des Tages: Christian ist ein Kontrollfreak, das konnte er zwar bisher immer gut verbergen, einem Kanadier ist es aber sofort aufgefallen und seine Argumentationslinie klang überzeugend. OK, es muss ja Dinge geben an denen man auf dem Camino arbeiten darf.

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02.09.2023 - Etappe 1

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Saint-Jean-Pied-de-Port - Roncesvalles

Vamos Adelante!

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Wunderbarer Morgen fünf Uhr irgendwas und das Ding geht los. Frühstücken, sehr nett, sehr gespannt auf den Tag, eigentlich auch sehr lecker aber mit den Gedanken wo anders. Auf dem Weg, wie wird es sein, dass ist schon ein Hammer-Brett 1300 Höhenmeter am Stück, danach 300 runter. Gott sei Dank ist das Wetter perfekt. Kein Regen, alles ruhig, Vollmond, eine geile Nacht. 6 Uhr stehen wir vor der Herberge, 19 und 10 kg auf dem Rücken und das Gefühl: heute geht was.

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Der nette Hospiliero hatte gewarnt, das Schlimmste sind die ersten 8 km und die 600 Höhenmeter, die man dabei überwinden muss. Wir wandern langsam den Berg hoch, obwohl wenn das Schlimmste die ersten 8 km sind, kann man eigentlich Vollgas geben. Gut, dass wir es nicht gemacht haben.

Ganz schön knackig ging es jetzt eine ganze Weile bergauf, wir sind immer noch guter Dinge, das wir diesen Tag voller Tatendrang und mit viel Motivation im Gepäck meistern werden. Wahrscheinlich wog die Motivation so viel, dass es doch noch ein anstrengender Tag werden sollte. Ohne größere Probleme meisterten wie den angeblich schwersten Teil und gut versteckt hinter einer Kurfe, sodass der Überraschungsmoment und die damit einhergehenen Glücksgefühle, ausgelößt auf die Aussicht auf einen Cafe con Leche und etwas kleines zu Essen und auch eine kleine Pause, äußerst motivierend wirkten.

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Regen, Regen, Regen, Gewitter, Regen, Wind der einen schräg laufen ließ und selbstverständlich auch diese verdammt schwere Ladung an Motivation setzten uns doch ganz schön zu. Also durchhalten, durchhalten, an etwas Positives denken, wie Melli, die sich an den Shaolinmeister Shi Heng Yi verzweifelt erinnerte, oder der Christian, der zum einen froh war als die Wanderstöcke, die er vorher noch für unnützen Schrott gehalten hatte, zu ihm fanden und der die Technik "ein Vaterunser, Pause, wenn die Motivation hoch war, zwei Vaterunser, Pause" anwandte.

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01.09.2023:

 

3:03 Uhr, aufstehehen, los geht es, Kaffee, Rucksack auf, nix vergessen, Bahnhof und schon reisen wir mit der Deutschen Bahn

- von Eilenburg nach Leipzig

- von Leipzig nach Frankfurt

- von Frankfurt nach Paris

- von Paris nach Bayonne und

- von Bayonne nach Saint-Jean-Pied-de-Port

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Geschätzte Ankunftszeit: 19.43 Uhr, die erste Herberge rd. 200 Meter nach Beginn des Jakobsweges, auch wenn es heute nur ein paar Meter auf dem Camino werden bevor wir uns mit den hedonistischen Dingen des Lebens beschäftigen, sind wir ab heute Pilger, eigentlich ist man das im Übrigen, sobald man sein Zuhause verlassen hat.

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Ab jetzt. Zuhause. Unterwegs.

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Zugfahrt, alles pünklich. Zumindest das.

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Aus dem Zug raus, ab zum Pilgerbüro, zu. Macht aber später nochmal auf. Schnell zur Herberge. Ein überaus freundlicher Hospiliero, der den Weg, der vor uns liegt bereits kennt, go slow, drink (Water) enjoy yourself. Die Herberge war klasse, Frühstück gab es bereits sehr früh, Zimmer augenscheinlich 4 Betten, alle am Ende belegt.

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Spitzenklasse: Die hedonistische Idee (fein Essen gehen) fiel zunächst nicht besonders gut aus, nach 30 Minuten in denen uns der Kellner vergessen hatte, hat Melli ein Bier organisiert. Chri ist immer noch im Nicht-Aufregen-Modus, was ihm irgendwie gar nicht gelingen mag. Wer ihn kennt weis was für ein aussichtsloses Unterfangen das ist.

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Ab zur Herberge und noch ne Mütze Schlaf bekommen, bevor morgen 1300 Höhenmeter zu überwinden sind und dann nochmal 300 Meter im Abstieg. Juhu ein Gewitter zieht auf, gut dass es jetzt kommet, so einen Dreck wollen wir im Gebirge nicht erleben. Ab ins Zimmer, ab ins Bett, ganz leise, hoffentlich können alle schlafen. 4 Mann-Zimmer ist auf dem Camino des Santiago ja eher Luxus. Zwischenwände die aber 30 cm vor der Decke aufhören, wer macht sowas?. So werden 4 Zimmern á 4 Menschen zumindest geräuschtechnisch Raum mit 16 Menschen. Menschen sind nachst sehr laut.

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Die Nacht so: LaLa

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Unterwegs. Zu Hause.

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Warum kommt man auf die Idee 900 km am Stück geradeaus zu laufen?

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06.08.2023  - Mist -

Jetzt sitze ich hier von so einer komischen Webseite und versuche als Online-Legasteniker einen Blog zu bauen. Planungsseitig fehlen die Herbergsschuhe, in die man nach 25 km plus x pro Tag in den Wanderschuhen schlüpft, um den armen Füßen mal eine Pause zu gönnen. Ganz wichtig, gute Herbergenschuhe zu haben. Die letzen sind durch, ich muss sie ziehen lassen, auch Reparaturversuche mit Bauklebeband waren zuletzt nicht mehr erfolgreich, es müssen neue Schlappen her. An sonsten sieht die Planung gut aus:
-  2 Pilgerpässe, Check
- 2 Paar Wanderschuhe, 2 Rucksäcke Check
- ein Zelt, 2 Schlafsäcke, 2 Isomatten, Check
- 2 Fahrkarte mit der Bahn nach Saint-Jean-Pied-de-Port, Check
- 2 mal Mindset (wir sind dann mal weg und das ist auch gut so), Check
- Powerbank, Laptop, Handys, diverser Technik-Krempel (ja, schon hier wird es unromantisch und so gar nicht kompatibel mit der Vorstellung der meisten Mitmenschen von innerer Einkehr)
- 4 Paar Socken, 4 Paar Hosen, 4 Paar Funktionsunterwäsche, 2 Hüte, 2 Regenponchos, Check
- eine Gitarre, selbst zusammengestelltes Notenbuch, Stimmgerät, Kapodaster, Plektren, Check
- ein gutes Gefühl haben? ... na ja ...
          laufen                 laufen                                                      laufen                                 laufen    

Beim Aufbruch ins Ungewissen, ist es irgendwie wie beim Skispringen, insbesondere dann, wenn der Aufbruch an klare Zeiten gebunden ist. Ab dem Zeitpunkt an dem man die Entscheidung getroffen hat loszulaufen, hat man den Balken losgelassen. Vorher hat man dort gesessen und nachgedacht über den Absprung, ob das jetzt wirklich so eine gute Idee ist und ob man heil unten ankommen wird. Sobald man losgelassen hat, wird man von der Schwerkraft aprupt aber sanft und mit zunehmdener Energie nach unten gezogen. So gehr es sicherlich jedem, der vom Jakobsweg, oder wie ihn Pilgerschwestern und -brüder liebevoll nennen "der Camino", kurz "der Weg", nachhaltig eingenommen wurde.

Der Pilger und der Profisportler haben beide ein tiefes Vertrauen darauf, dass das was sie tun, in einem großen Sprung endet, der, hält man jetzt nur die Ski gerade, zu einer sicheren Landung führen wird. Denn nach dem Sprung ist vor dem Sprung und "The Real Camino starts at the End", aber dazu später.

Willkommen auf unserem privaten Camino-Blog, der unseren Weg von Saint-Jean-Pied-de-Port über fast 900 km, unsere Eindrücke und Gedanken und auch - aus unserer völlig subjektiven Sicht - besondere Orte beschreibt.

Viva la vie!

Melli und Chri



 

Viva La Vie

Melli & Chri

vivalavie.online

©2023 von Melanie und Christian

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